Tag #131811 - Interview #78545 (Louise Eva Papo)

Selected text
Meine erste, und für viele Jahre einzige antisemitische Erfahrung, hatte ich ganz knapp nach Schulbeginn, in der 1. Klasse. In dem Haus, in dem wir wohnten, wohnte auch ein christliches Mädchen, das in meine Klasse ging. Meistens sind wir nach der Schule gemeinsam nach Hause gegangen. Eines Tages sagte sie zu mir, wir waren gerade vor unserem Haus angekommen: ‚Du hast den Jesus umgebracht!’ Da habe ich gesagt:
‚Nein, ich habe niemanden umgebracht!’
‚Doch, du hast den Jesus umgebracht!’ Ich wusste natürlich nicht, wer Jesus ist, aber dass ich niemanden umgebracht hatte, das wusste ich. Da haben wir zu streiten begonnen, wir haben uns sogar geprügelt. Ich habe sie gebissen, und daraufhin von meinen Eltern eine Strafe bekommen, weil man natürlich niemanden beißen darf: es gehört sich nicht. Aber das war das einzige Erlebnis dieser Art, den Rest meiner Schulzeit habe ich von Religion oder Antisemitismus nichts gespürt. Das blieb so, bis der Hitler 1933 in Deutschland populär wurde. Da erinnere ich mich an ein Mädchen in der Klasse, das eine begeisterte Nazi war. Aber Juden und Religion waren einfach kein Thema!
Period
Year
1933
Location

Vienna
Österreich

Interview
Louise Eva Papo