Tag #132084 - Interview #78297 (Hanny Hieger)

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Meinen zweiten Vertrag bei den Vereinten Nationen habe ich gekündigt in der Hoffnung, daß ich einen dritten Vertrag irgendwo bei einem europäischen Projekt bekomme. Das war der politischen Umstände wegen kaum möglich, denn ich war in der Administration und bei Feldprojekten, und die waren meistens in Krisengebieten. Ich hab dann durch Zufall einen Posten im Außenministerium bekommen und bin wieder nach Südamerika, um vier Jahre an einer österreichischen Botschaft in Südamerika zu arbeiten. In Südamerika lernte ich auch meinen zweiten Mann kennen, von dem ich mich aber nach einiger Zeit scheiden ließ. Nach fünf Jahren hab ich mich wieder nach Österreich versetzen lassen in der Hoffnung, noch einen anderen Posten irgendwo zu bekommen. Ich hab in der Zwischenzeit von der DDR gehört und gelesen, und es hat mich doch sehr gereizt, weil ich der Meinung war, daß das ein Land ist, das meinen Idealen entspräche. Kein Faschismus, kein Antisemitismus und eine wahre Demokratie. Als ich's geschafft hatte, dorthin versetzt zu werden, hat's nicht lang gedauert, bis ich gemerkt habe, daß mein Ideal nicht dem entsprochen hat, was ich mir vorgestellt hab. Und ich habe dann begonnen, meine Arbeit in eine Art Hilfe umzuwandeln, weil ich mich mit den Opfern identifiziert habe. Es hat mich gestört, wenn ich mit Leuten zusammen war, die nicht einmal einen Kilometer weiter nach Westberlin konnten. Ich habe mich immer geschämt, daß ich diese Privilegien hatte.
Period
Location

Deutschland

Interview
Hanny Hieger