Tag #132492 - Interview #78289 (Gertrude Kritzer)

Selected text
Einmal waren wir Samstag in der Früh zum Katheterwechsel in einem Spital.
Da sagte der Arzt: 'Der Herr Kritzer hat nichts zu tun; da denkt er sich,
na, da gehe ich ins Spital. Aber er vergisst, dass wir hier sehr viel zu
tun haben. Mein Vater war auch krank, war 75 Jahre alt und hatte
Disziplin!'
Ich dachte, ich drehe durch und sagte zu ihm: 'Wissen Sie eigentlich, was
die Pflichten eines Arztes sind?'
Und er fragte mich: 'Warum haben sie einen Juden geheiratet?'
Darauf sagte ich: 'Sie werden lachen, ich bin auch Jüdin!'
So war das Gespräch und mein Mann saß mit großen Schmerzen zitternd dabei.
Nachdem der Arzt endlich den Katheter gewechselt hatte, hab ich ihn gepackt
und ihm gesagt:
'Sie sind ein richtiges Nazischwein.' Dann habe ich ihn noch angespuckt.
Mein Mann bekam Angst um mich. Seit fünfundzwanzig Jahren kann ich nicht
mehr weinen, aber ich bekam damals oft Schüttelfrost. Wenn man nicht mehr
weinen kann, ist das schlimm, weil das in der Brust sitzt und weh tut.

Ich beschwerte mich dann beim Chef des Krankenhauses, aber er sagte:
'Wissen sie, die Ärzte sind so überlastet.'
'Aber in diesem Fall, Herr Professor, war das nicht so, tun Sie etwas!'
forderte ich.
Ich schrieb dann dem Gesundheitsminister, und er antwortete: 'Ihr Mann
hätte schon längst operiert werden müssen, aber die Ärzte sind sehr
überlastet.'
Period
Location

Vienna
Österreich

Interview
Gertrude Kritzer