Tag #134120 - Interview #78535 (Rosa Rosenstein)

Selected text
Meine Mutter war eine Leseratte wie ich. Sie hat nur ein Jahr in Galizien die Schule besucht. Sie hatte sieben Brüder, die haben alle studiert. Der Großvater hat immer gesagt, es ist genug, wenn ein Mädchen seinen Namen schreiben kann und Brot backen, braten und buttern kann. Sie kamen doch vom Lande, und das war genug. Meine Mutter hat mir erzählt, das erste, was sie sich in Berlin gekauft hat ‑ sie hat nachher ja auch gearbeitet in Berlin ‑ war Grillparzer [Anm.: Österr. Schriftsteller 1791-1872], eine ganze Reihe Bücher von Grillparzer. Lesen und Schreiben hatte sie sich selber beigebracht. Wir hatten zu Hause eine richtige Bibliothek. Wir hatten einen Arbeiter, der war ein älterer Herr, und wir waren doch vier Mädchen zu Hause. Und der hat immer gesagt: bei den fünf Frauen im Hause Braw ist die Mutter die Klügste und die Schönste. Als wir ausgewandert sind, als Hitler kam, hat mir das Herz wehgetan, weil wir alle Bücher zurücklassen mussten.
Period
Location

Berlin
Deutschland

Interview
Rosa Rosenstein