Tag #134960 - Interview #79436 (Friedrich Seliger)

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Als Kind in Polen hat mein Vater in einem Cheder [10] gelernt. Er hat alles gekonnt und verstanden. Er hat mich aber zu nichts gezwungen. Ich weiß nicht, warum er so tolerant war. Vielleicht, weil meine Mutter so war. Während der Schulzeit hatten wir jüdischen Kinder nachmittags zwei Mal in der Woche Religionsunterricht. Wenn die christlichen Kinder Religionsunterricht bei einem Pfarrer hatten, sind wir rausgegangen aus der Klasse, denn wir waren vom christlichen Religionsunterricht befreit, und dann sind wir in eine andere Schule gegangen. Dort hatten wir den jüdischen Religionsunterricht. Das war offiziell von der Regierung genehmigt.

Jüdische Geschichte haben wir gelernt und die Buchstaben zum Beten. Ich habe immer gern gelesen, aber wir haben nicht gewusst, was wir beten. Für mich war das so wie lateinisch oder spanisch. Ich konnte es lesen, aber ich hatte keine Ahnung, was es bedeutet. Die Israelis heute wissen genau was geschrieben steht, aber früher haben das die Leute nicht gewusst. Man hat das automatisch runter geleiert. Das hat mich gestört, dadurch hat mich die Religion nicht so interessiert.
Period
Location

Vienna
Österreich

Interview
Friedrich Seliger