Tag #115075 - Interview #78301 (Bruno Bittmann)

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Fast jährlich fuhr meine Mutter im Personenzug mit mir und meiner Schwester von Czernowitz [heute Ukraine] nach Stanislau [heute Ukraine] zu den Großeltern. Die Reise dauerte ungefähr vier Stunden. Mein Vater war sehr oft geschäftlich unterwegs, und meine Mutter nutzte diese Zeit, um die Großeltern zu besuchen.

Die Großeltern väterlicherseits und mütterlicherseits lebten in Stanislau, das etwa 80 Kilometer von Czernowitz entfernt liegt. Was mich an Stanislau faszinierte waren die modernen Strassen, sie glänzten im schwarzen Asphalt, und es gab Fiaker mit denen wir immer vom Bahnhof zu den Großeltern fuhren.

Die Großeltern väterlicherseits waren orthodox. Der Großvater hieß Izchak Eisig Bittmann und ich kann mich noch gut an ihn erinnern. Er trug einen großen weißen Bart. Mein Kontakt zum Großvater war nicht sehr eng, denn er war ein eher schweigsamer Mensch.

Ich weiß, er hatte viele Geschwister, ich kenne aber nur ihre Namen: Brauna, Joseph, Jakob, Moische, Naphtula und Hermann. Die Namen der Geschwister meines Großvaters kenne ich deshalb, weil in Amerika ein Cousin des Großvaters gestorben ist und ein Anwalt wegen der Erbschaftsangelegenheiten einen Stammbaum erstellen ließ.

Die Großeltern wohnten in einem Haus und betrieben eine Landwirtschaft. Die Toilette der Großeltern war auf dem Hof, und in die Tür der Toilette war ein Loch in Form eines Herzchens geschnitten, daran kann ich mich gut erinnern. Das Haus war sehr geräumig und es standen Leder Fauteuil im Wohnzimmer.

In der Küche stand ein riesengroßer alter Herd mit glänzenden Kupfer und Messingteilen auf dem meine Großmutter, die immer einen Scheitl [1] trug, auch Bücklinge räucherte. Das Unangenehme dort war, dass ich am Nachmittag immer schlafen musste, denn durch die Landwirtschaft gab es viele Fliegen, die sehr lästig waren.

Es war eine Plage für mich, jeden Mittag zu schlafen, wenn die Fliegen um mich herum schwirrten. Komischerweise kann ich mich nicht erinnern, ob die Großeltern außer Hühnern noch andere Tiere hatten, aber ich denke schon. Ich weiß, dass es ihnen finanziell ganz gut ging.

Über die Geschwister meines Vaters weiß ich sehr wenig. Ich glaube, seine Brüder waren alle jünger als er. Onkel Moses, das erzählten meine Eltern, war Hobbyschauspieler. Er lebte mit seiner Frau in Lemberg. Sie hatten keine Kinder und wurden 1941, nach dem Einmarsch der Deutschen in Lemberg, ermordet.

Onkel Israel lebte in Stanislau und war nicht verheiratet. Onkel Hersch steckte mir, wenn ich zu Besuch in Stanislau war, heimlich Zigaretten zu. An die Tante Hyka kann ich mich überhaupt nicht erinnern und an die Tante Bluma nur sehr schwach. Alle wurden nach dem Einmarsch der Deutschen 1941 ermordet. Der Großvater starb 1938, die Großmutter Frieda wurde nach dem Einmarsch der Deutschen ermordet.
Period
Location

Stanislau
Ukraine

Interview
Bruno Bittmann