Tag #115079 - Interview #78301 (Bruno Bittmann)

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Am 5. Juli 1941 besetzten die deutschen Truppen Czernowitz. Meine Bar Mitzwa war in dieser schrecklichen Zeit. Sie fand im Tempel statt, es gab eine kurze Ansprache, ich musste mein Gebet sagen, dann war die Sache erledigt. Alle Juden aus Czernowitz mussten ins Ghetto.

Das Ghetto waren praktisch ein paar Straßen in Czernowitz, die abgeriegelt wurden. Wir hatten Glück, weil meine Mutter war eine sehr philanthropische Person war. Auf der Seite, wo das Ghetto eingerichtet wurde, lebte eine Dame mit drei oder vier Kindern, deren Mann gestorben war.

Sie besaß ein kleines Lebensmittelgeschäft. Um ihr in ihrer schlechten finanziellen Situation behilflich zu sein, ging meine Mutter immer den weiten Weg mit mir, um dort einzukaufen. Die Wohnung dieser Frau lag nun direkt im entstandenen Ghetto, und wir durften bei ihr wohnen. Acht oder neun Leute waren wir in einer kleinen Kellerwohnung, aber anderen ging es schlechter.

Während des Krieges, als die Deutschen da waren, übernahm zuerst Chile und dann die Schweiz den Schutz der polnischen Staatsbürger, wir standen plötzlich unter ihrer Obhut. Wir bekamen einen Zettel mit einem großen Stempel der chilenischen Botschaft, durften das Ghetto verlassen und wieder nach Hause gehen.

Der Zettel wurde dann an unserer Tür befestigt. Die Deutschen hielten sich wirklich daran, denn nach außen hin wollten sie immer das freundliche Gesicht zeigen. Dieser Zettel an der Wohnungstür rettete unser Leben. Dadurch wurden wir nicht, wie die meisten Juden aus der Bukowina, nach Transnistrien [13] deportiert. Viele verloren in Transnistrien unter den unmenschlichen Bedingungen ihr Leben.

Wir durften nur zu bestimmten Zeiten auf die Strasse, und eine Begebenheit habe ich bis zum heutigen Tag nicht vergessen. Wir mussten einen gelben Stern tragen und die Buben, ich war nicht das einzige Kind, dass so lebte, befestigten den gelben Stern an einer Schnur und zogen ihn herauf oder herunter, wie es gerade passte.

Auf diese Art und Weise konnten wir auch mal ins Kino gehen. Einmal kam plötzlich ein schwarzer Opel Kapitän und blieb direkt neben mir stehen. In dem Moment ließ ich den Stern herunter, weil ich wusste, ich muss Farbe bekennen, denn sie sehen sowieso, dass ich jüdisch bin.

Es stieg ein Offizier in schwarzer SS Uniform mit dem Totenkopf aus dem Auto und sagte zu mir: 'Einsteigen!' Ich stieg hinten ein und dachte, jetzt müsste ich mich von meiner Familie für immer verabschieden. Sicherheitshalber behielt ich die Hand am Türgriff, damit ich vielleicht doch hinausspringen kann.

Der SS Offizier fragte mich nach einer Adresse, die in der Mitte der Stadt lag. Ich dachte, dass sei nur eine Ausrede. Ich zeigte ihm den Weg, die fuhren genauso, wie ich es ihnen sagte. Es waren drei SS Leute, der Chauffeur und zwei Offiziere.

Sie blieben bei der Adresse stehen, der Offizier stieg vorn aus, öffnete mir, dem Juden, die Tür, zog noch die Hand nach hinten, und ich dachte, jetzt nimmt er die Pistole und wird mich erschießen. Aber nein, er zog nur sein Portmonee raus und wollte mir ein Trinkgeld geben.

Daraufhin habe ich gesagt: 'Nein danke, ich nehme nichts!' Er salutierte, setzte sich ins Auto, und die fuhren weg. Ich stand da und dachte, ich hätte geträumt. Es waren nicht alles Schweine! Da lernte ich, man muss unterscheiden, es gibt so´ ne und solche.

Wie das mit dem Einkaufen funktionierte, weiß ich nicht. Aber ich handelte mit Seife und mit Schirmen, die mir Leute gaben und die ich verkaufte. Zu welchen Konditionen, daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich reparierte auch Feuerzeuge und Füllfederhalter. Das konnte ich, weil ich in der Volksschulzeit nach der Schule oft auf meine Mutter warten musste, die mich abholte, und ich wartete immer auf einem kleinen Platz, auf dem unter anderem ein Mann stand, der Feuerzeuge und Füllfederhalter reparierte und dem ich immer ganz genau zuschaute.

Auch Freunde hatte ich in dieser Zeit. Mit einem Freund ging ich schon gemeinsam in die Volksschule, der hieß Adolf Hitler. Im Jahre 1951 traf ich ihn als Stuart auf dem Schiff, mit dem ich nach Israel fuhr und ich sagte zu ihm: 'Hitler, wie geht es dir?' 'Pscht, Pscht', sagte er erschreckt. Später änderte er seinen Namen.
Period
Location

Czernowitz
Ukraine

Interview
Bruno Bittmann