Tag #115093 - Interview #78301 (Bruno Bittmann)

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Ich erinnere mich, zu Pessach [14], wenn man koscheren Wein trinken und Mazzot [15] essen muss, besorgte mein Vater von irgendwoher handgemachte Mazze. Den Wein hat mein Vater aus Rosinen selbst hergestellt. Es wurde viel improvisiert, als wir unter der Herrschaft der Deutschen in Czernowitz lebten, aber wir hungerten nicht. Meistens kochte meine Mutter dunkle Graupen.

Ich war kein Leser. Meiner Mutter gefiel das natürlich nicht, und sie brachte mir einmal von dem bekannten deutschen Schriftsteller Erich Kästner das Buch 'Emil und die Detektive' mit. Das las ich, ich wurde aber trotzdem keine begeisterte Leseratte.

Ich beschäftigte mich mit meiner Briefmarkensammlung, und bastelte mir einen Filmvorführapparat aus einem Karton meines 'Mensch ärger dich nicht' Spiels. Zwei Taschenlampen, Vergrößerungsgläser, die Kurbel des Fleischwolfs meiner Mutter, eine Stange mit Zahnrad und die Birne einer Stehlampe, schon war mein Filmvorführapparat fertig.

Einen Film hatte ich irgendwann einmal gefunden und nun gab ich Filmvorführungen. Meine Vorstellungen kosteten fünf Lei Eintritt, aber als einmal die Birne kaputt ging, gab ich den Besuchern immerhin ihr Eintrittsgeld zurück.

Manchmal vermietete ich mein Zimmer auch an Pokerspieler, die ihren Eltern Geld geklaut hatten und für das Geld Karten spielten. Das konnten sie natürlich nicht mit dem geklauten Geld bei sich zu Hause machen. Ich kann bis heute keine Karten sehen, das hat mich so angewidert!

Was meine Schwester in dieser Zeit machte, weiß ich nicht. Sie hatte einen Freund, schon in der Zeit, als noch die Russen da waren. Er hieß Emanuel Surkis und war auch aus Czernowitz. Er war etwas älter als sie, sie kannten sich von der Schule. Er hatte irgendetwas Technisches studiert, aber genau weiß ich nicht, welche Richtung.

So überlebten wir den Krieg, wir lebten in Armut, wir lebten in Angst, denn Angst hatten wir die ganzen Jahre hindurch, aber wir blieben am Leben. Am Ende des Krieges erfuhren wir erst über die Ausmaße des Holocaust. Wie meine Verwandten ermordet wurden, wissen wir nicht. Man nahm an, denn einige erzählten das, dass man sie aus den Häusern geholt hatte, barfuss im Schnee laufen ließ, und wer zusammenbrach, wurde erschossen.

1944 waren die Russen da, sie hatten die Deutschen vertrieben. Mein Vater wurde Hauptbuchhalter in einem Mühlenkonzern. Da hatten wir immer Mehl, und meine Mutter konnte Brot backen. Meine Schwester arbeitete in dieser Zeit bei der Feuerwehr.

Man musste alles an Arbeit annehmen, da hatte man keine Wahl, denn sonst wurde man, das konnte sehr schnell gehen, von den Russen verhaftet. Ich war 16 Jahre alt und ging wieder in die Schule. An einem Sonntag sollten wir von der Schule aus in einem kleinen Nachbarort Häuser vermessen. Ich sagte zum Politoffizier, jede Schule hatte einen Politoffizier, dass ich nicht mitgehe, weil ich lernen müsse.

Als ich die Schule verlassen habe, ist er mir noch nachgelaufen, daran kann ich mich genau erinnern. Zu Hause erzählte ich die Geschichte meinen Eltern: 'Bruno, was hast du gemacht,' sagten meine Eltern entsetzt. Am nächsten Tag war Lehrerkonferenz und es wurde beschlossen, dass ich aus allen Schulen Russlands eliminiert werde, und ich musste sofort einen Job finden.
Period
Interview
Bruno Bittmann