Tag #115931 - Interview #78542 (Edith Landesmann)

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Mein Vater war Direktor einer großen Textilfabrik und wurde sofort gekündigt. Die Leitung der Fabrik übernahm der frühere Schlosser. Nach einigen Tagen sah man, dass es so nicht funktioniert, und man rief meinen Vater wieder zurück. Da aber Juden nicht mehr die Straßenbahn benutzen durften, verlangte mein Vater eine Transportmöglichkeit. So kam es, dass täglich zwei SS-Männer mit ihrem "Kübelwagen" meinen Vater abholten und abends wieder zurückbrachten. Das war natürlich sehr riskant, denn man sperrte Juden ganz grundlos ein. Wir hatten ein großes Zimmer mit sechs Fenstern und weitem Ausblick, ich sehe meine Mutter gegen Abend von einem Fenster zum anderen gehen und Ausschau halten, ob mein Vater auch wieder nach Hause kommt! Von all diesen Aufregungen bekam meine Mutter einen Stimmbänderkrampf und verlor ihre Stimme. Es war eine sehr aufregende Zeit, und wir alle wurden sehr eingeschüchtert und verschreckt. Das war aber erst der Anfang, und G’tt sei Dank blieben mir und meiner Familie die weiteren Schrecken erspart! Denn schon im Mai kam ein Brief an einige Textilfabriken in Brünn, man suche einen Fachmann zwecks Errichtung eines Werkes in Palästina. Mein Vater meldete sich sofort, und nun begann die bange Zeit des Wartens! Inzwischen kamen immer neue Gesetze, und wir wurden immer mehr unserer bürgerlichen Rechte beraubt. Als es soweit war und wir alle nötigen Bestätigungen beieinander hatten, mussten wir alle Schmuck und Wertsachen an die Deutschen abgeben. Auf alles was wir ausführen wollten mussten wir 1oo Prozent Abgaben zahlen, außerdem eine Reichsfluchtsteuer, Judenvermögensabgabe, usw.  Geld durften wir sowieso keines mitnehmen, so kauften meine Eltern alles, was sie dachten in nächster Zukunft brauchen zu können.
Interview
Edith Landesmann