Tag #118522 - Interview #78294 (Herbert Lewin)

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Die Synagoge in Osterode war ziemlich groß. Aus den umliegenden Orten kamen alle Juden zu den hohen Feiertagen nach Osterode. Hebräisch Unterricht hatten wir in einem Haus neben dem Tempel. Sieben oder acht Kinder sind da zusammen gekommen, mehr nicht. Und einmal in der Woche kam der Rabbiner in die Schule und hat dort biblische Geschichte gelehrt. Unser Rabbiner, der Doktor Mannheim, war ein Rabbiner, wie man ihn in keiner jüdischen Gemeinde finden kann: Einmal im Jahr kam der Vorsitzende der Kultusgemeinde mit zwei Lehrern kontrollieren, wie der Herr Rabbiner den Religionsunterricht gestaltet. Der Rabbiner war aber immer vorher gewarnt und hat jedem von uns ein Bücherl gegeben und gesagt: 'Du kommst mit dem Abschnitt dran, und du kommst mit dem Abschnitt dran. Was du nicht weißt, schreib dir mit dem Bleistift darüber.' Nach der Kontrolle zweier Schüler haben hat der Vorsitzende der Kultusgemeinde immer gesagt: 'Herr Mannheim, wir sehen, es ist ein guter Unterricht.' Es gab auch kein jüdisches Kind, dass keine eins oder zwei in Religion hatte. Da hat mein Vater den Rabbiner einmal zur Rede gestellt: 'Herr Mannheim, wie machen Sie das, dass alle jüdischen Kinder mit gutem Zeugnis davon kommen?' Und der Herr Mannheim sagte: 'Herr Lewin, soll ich Ihnen was sagen: Wär es nicht a Schand, wenn a jüdisches Kind weniger als a zwei hat?' Den Rabbiner Mannheim habe ich dann wieder getroffen in Israel. Sein Sohn war Arzt, der hatte ihn mit nach Palästina genommen.
Interview
Herbert Lewin