Tag #118744 - Interview #78501 (Paul Rona)

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Knapp vor dem Einmarsch der sozialistischen Staatengemeinschaft in die Tschechoslowakei, im August 1968, war ich in der Slowakei, in Banska Stiavnica, der Heimatstadt meiner Mutter, auf Urlaub. Ich habe damals gewettet, dass die Russen nicht einmarschieren werden. Ich war bis 1968 in der Kommunistischen Partei, und bin dann in Folge der politischen Ereignisse, im Jänner 1969 ausgetreten.

Es wird jetzt viel über linken Antisemitismus in der Kommunistischen Partei gesprochen, das ist ein beliebtes Diskussionsthema. Die Linke hat sehr viele Sünden begangen, aber das ist eine ihrer geringsten. Dass es in der Linken nicht nur Judenfreunde gab, ist ein anderes Kapitel, aber Antisemitismus würde ich nicht sagen. Im Gegenteil, ich bekam durch die Kommunisten sehr rasch gesellschaftlichen Anschluss. Ich kann mir das Leben ohne Kommunistische Partei, in den ersten Jahren nach meiner Rückkehr nach Österreich, nicht vorstellen.

Es ist schwierig, was man als Antisemitismus bezeichnet und was nicht. Ich kannte jemanden in der Kommunistischen Partei, der sagte öfter: ‚Wenn alle Juden so wären wie du!’ Das empfand ich damals nicht als sehr arg, teilweise gab ich ihm Recht. Es gab zum Beispiel im 4. Bezirk zwei jüdische Genossen, denen es relativ gut ging. Jeden Sonntag, bis Mitte oder Ende der 1950er-Jahre, gingen wir von Tür zu Tür und verkauften die Volksstimme [Zeitung der Kommunistischen Partei Österreichs]. Einmal im Monat nahmen sich die zwei jüdischen Genossen auch zehn Volksstimmen, die fand man nachher im Mistkübel. Sie zahlten die zehn Schilling, es war kein Problem für sie. Und da regten sich die anderen Genossen auf und brachten das mit deren ‚jüdisch sein’ in Verbindung. Aufgeregt habe ich mich auch, ich habe es mit dem ‚intellektuell sein’ in Verbindung gebracht, aber jüdisch und intellektuell sind verwandt in Österreich. Da in der Arbeiterschaft aus verschiedenen historischen Gründen ein Antiintellektualismus vorhanden ist, und die meisten Intellektuellen in den beiden Arbeiterparteien in der Zwischenkriegszeit Juden waren, war antijüdisch und antiintellektuell sehr verwandt. Das ist eine Sache, die bei Diskussionen oft nicht berücksichtigt wird.
Location

Austria

Interview
Paul Rona