Tag #118748 - Interview #78501 (Paul Rona)

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Es ist schwierig, was man als Antisemitismus bezeichnet und was nicht. Ich kannte jemanden in der Kommunistischen Partei, der sagte öfter: ‚Wenn alle Juden so wären wie du!’ Das empfand ich damals nicht als sehr arg, teilweise gab ich ihm Recht. Es gab zum Beispiel im 4. Bezirk zwei jüdische Genossen, denen es relativ gut ging. Jeden Sonntag, bis Mitte oder Ende der 1950er-Jahre, gingen wir von Tür zu Tür und verkauften die Volksstimme [Zeitung der Kommunistischen Partei Österreichs]. Einmal im Monat nahmen sich die zwei jüdischen Genossen auch zehn Volksstimmen, die fand man nachher im Mistkübel. Sie zahlten die zehn Schilling, es war kein Problem für sie. Und da regten sich die anderen Genossen auf und brachten das mit deren ‚jüdisch sein’ in Verbindung. Aufgeregt habe ich mich auch, ich habe es mit dem ‚intellektuell sein’ in Verbindung gebracht, aber jüdisch und intellektuell sind verwandt in Österreich. Da in der Arbeiterschaft aus verschiedenen historischen Gründen ein Antiintellektualismus vorhanden ist, und die meisten Intellektuellen in den beiden Arbeiterparteien in der Zwischenkriegszeit Juden waren, war antijüdisch und antiintellektuell sehr verwandt. Das ist eine Sache, die bei Diskussionen oft nicht berücksichtigt wird.
Period
Location

Austria

Interview
Paul Rona