Tag #119372 - Interview #78292 (Oskar Rosenstrauch)

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In unserem Haus wohnten 50 Prozent Juden und 50 Prozent Nichtjuden. Man sprach miteinander oder nicht, aber es gab keinen Antisemitismus, der spürbar war. Das war das Besondere an Wien! Im zweiten Bezirk, in der Ghettogegend, lebten die Religiösen, die sich deutlich unterschieden von den assimilierten Juden, die aber auch bewusst jüdisch lebten. In den Ghettogebieten war das Schwergewicht auf jüdisch; das war eine Teilung, die durch Wien ging. Man sang damals in Wien so ein Gstanzl [Volkslied]: 'Die einen die jodeln die san im Gebirg, die anderen die jideln im zweiten Bezirk.' Das ist nicht unfreundlich oder das Lied: 'Als Moses mit den Juden zog übers Rote Meer, da waren in der Leopoldstadt [2. Wiener Gemeindebezirk, in dem viele orthodoxen Juden lebten und auch heute wieder leben] die Kaffeehäuser leer.' Auch das ist nicht unfreundlich. Es war ein freundliches nebeneinander; diese Gehässigkeiten begannen mit der Wirtschaftskrise; mit dem Elend.
Period
Location

Wien
Austria

Interview
Oskar Rosenstrauch