Tag #119504 - Interview #78281 (Max Tauber)

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Meine Großmutter ist in Weikendorf aufgewachsen. Man hat sie relativ jung verheiratet, was in jüdischen Familien eine Selbstverständlichkeit war. Da hat es nicht viele andere Möglichkeiten gegeben für eine junge Frau - sie musste verheiratet werden. Meine Großmutter wurde mit einem wesentlich älteren Mann, einem Witwer, verheiratet, der Deutsch hieß. Ich glaube, dass sie zusammen in Wien gewohnt haben. Das Kind aus dieser Ehe ist die Malwine Deutsch, das ist die Halbschwester meines Vaters. Der Herr Deutsch ist, kurz nachdem Malwine geboren wurde, gestorben. Und jetzt stand meine Großmutter als blutjunge Witwe mit einem Kind allein da. Sie ist zu ihren Eltern nach Weikendorf zurückgegangen und hat ihre Tochter Malwine, die war ungefähr ein bis zwei Jahre alt, bei Verwandten in Wien praktisch in die Kost gegeben, um unbelastet zu sein und eine neue Ehe einzugehen. Das heißt, sie hat ihr Kind weggegeben, aber ich nehme an, sie wird sie öfters besucht haben. Malwine ist bei den Verwandten aufgewachsen, ist in Wien in die Schule gegangen und hat sogar das Gymnasium besucht.

Meine Großmutter war ja nun Witwe und in einer streng orthodoxen Familie ist es kein Zustand unverheiratet zu sein, da musste etwas geschehen. Der Urgroßvater hat einen jungen Mann ausfindig gemacht, der in der Nähe von Bratislava gelebt hat. Auf Deutsch hat der Ort Jakobsdorf geheißen und gehörte zu Ungarn, weil die Slowakei damals zu Ungarn gehörte. Dieser junge Mann, Julius Tauber, mein Großvater, hatte eine koschere Fleischhauerei und soll ein sehr fescher Mann gewesen sein. Wahrscheinlich hat mein Urgroßvater einiges investieren müssen, dass der Julius Tauber meine Großmutter geheiratet hat. Die Großmutter ist nach der Hochzeit zu ihm nach Jakobsdorf gezogen. Zuerst wurde mein Vater Moritz und zwei Jahre später sein Bruder Max geboren. Mein Vater wurde am 5. Mai 1891 geboren und 1893, ich glaube im August, sein Bruder Max. Die Ehe meiner Großeltern war aber alles andere als harmonisch. Ich kann mich da nur auf das verlassen, was ich von meinem Vater und von meiner Großmutter erfahren habe. Es hat sehr große Konflikte gegeben, denn anscheinend war der Großvater nicht so orthodox wie die Großmutter, die ja streng orthodox erzogen worden war. Der Großvater ist sogar mit den Bauern aus Jakobsdorf ins Wirtshaus gegangen. Vielleicht ist er am Schabbes [5] zu spät heimgekommen, und sie stand schon beim Licht benschen - ich denke, es waren solche Sachen. Ich habe versucht, genauer zu recherchieren, bin aber auf ziemlich taube Ohren gestoßen. Sowohl meine Großmutter wie mein Vater haben sich darüber nicht ausführlich geäußert. Jedenfalls ist es irgendwie zu einem großen Konflikt gekommen, und meine Großmutter hat die Kinder genommen, mein Vater war ungefähr vier Jahre alt und der Onkel Max war zwei Jahre alt, hat meinen Großvater verlassen und ist wieder nach Weikendorf zu ihren Eltern gezogen. Daraufhin ist mein Großvater nach Amerika ausgewandert, das muss so um 1895 gewesen sein. Er hat in New York, in Brooklyn, mit einem Fleischhauer ein Geschäft eröffnet. Einige Jahre später ist er zurück zur Großmutter gekommen, denn das Geschäft ging gut, und er wollte die Familie - seine Frau und seine Söhne - mit nach New York nehmen. Die Brüder meiner Großmutter, der Hermann und der Adolf waren sehr empört darüber und haben meiner Großmutter versprochen, dass sie sich um sie und ihre Kinder kümmern werden, aber sie soll sich endgültig von diesem Mann trennen; der wäre ein Übel für die Familie. Die Brüder meiner Großmutter hatten sogar deshalb mit ihrem Vater einen riesigen Krach. Ich weiß nicht, ob meine Großmutter mit ihren zwei kleinen Söhnen nach New York gegangen wäre, aber sie wollte auch ihre bereits erwachsene Tochter Malwine, die damals schon verheiratet war, nicht allein zurück lassen. Meine Großmutter blieb also in Weikendorf, und mein Großvater fuhr allein wieder nach New York zurück. Einen Dreck haben sich der Hermann und der Adolf dann um sie gekümmert! Der Onkel Adolf hat später eine Nichte seiner Frau ins Haus genommen, obwohl es so gedacht war, dass mein Vater, wenn er heiratet, das Geschäft des Onkels als Nachfolger übernimmt, und mein Onkel Max, der Bruder meines Vaters, sollte das Geschäft des Onkel Hermann übernehmen, der aber hat dann von der jüngsten Schwester meiner Großmutter, der Sali, die älteste Tochter ins Haus genommen. So haben mein Vater und sein Bruder nichts bekommen!

Kurze Zeit darauf, um die Jahrhundertwende, kam die Nachricht, mein Großvater sei erschossen worden. Meine Großmutter hat mir erzählt, sie hätte erfahren, der Großvater und ein paar andere Leute haben in einem Keller auf eine Kerze geschossen, und eine Kugel sei zurückgeflogen und hätte meinen Großvater getroffen. jedenfalls sehr dubios, sehr mysteriös diese Geschichte.

Nun war meine Großmutter das zweite Mal Witwe.
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Max Tauber
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