Tag #119820 - Interview #78288 (Ludwig Grossmann)

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Wir Kinder waren Zionisten. Die Mutter und die Großmutter hatten nichts dagegen, aber auch nichts dafür. Meine Schwester war beim Haschomer Hatzair [6]. Auch ihr späterer Bräutigam Paul Herzberg und viele Freunde, die älter waren als mein Bruder und ich.

Am 1. Mai demonstrierten wir mit dem Vater auf der Ringstraße; da haben wir geschrieen: 'Techie Eretz Israel Haovedet [es lebe das arbeitende Israel]!' Für den Schomer [kurz für Haschomer Hatzair] sind wir dann auch mit der blauen Büchse vom Keren Kajemet sammeln gegangen.

Im Jahre 1929 waren wir mit dem Schomer in der Steiermark, auf der Lachnitzhöhe. Einmal waren wir auch in Kärnten, in Velden. Antisemitismus war damals etwas Selbstverständliches, aber da haben wir keinen Antisemitismus gespürt.

Wir wurden im Schomer auf die Alijah [7] vorbereitet. Wir hatten Schulungen, wurden über die politische Situation der jüdischen Gruppen in Deutschland informiert, und wir haben für die Prüfungen geübt, die wir ablegen mussten, um verschiedene Tüchtigkeitsabzeichen zu erhalten.

Zuerst hatten wir braune Hemden, wie die Pfadfinder. Wir haben sie ja auch beim Pfadfinder-Versand gekauft. Die Knoten waren auch von den Pfadfindern. Später hatten wir blaue Hemden.

Im Sommerlager hatten wir verschiedene Tätigkeiten. Es gab einen 'Jom Ivrit' [Tag der hebräischen Sprache], und es gab eine Fahnenwache. Wir waren sozialistisch eingestellt. Für den bedeutenden Dichter Bialik [8] hielten wir 1934 eine Ehrenwache am Südbahnhof.

Er lebte in Palästina und starb 1934 in Wien. Seine Leiche wurde nach Palästina überführt. An Theodor Herzls Todestag waren wir an seinem Grab auf dem Döblinger Friedhof. 1948 wurden seine Gebeine nach Jerusalem überführt.

Wir haben uns nie über gläubige Juden lustig gemacht. Wir wussten: das sind unsere Leute. Auch wenn wir nicht in den Tempel gegangen sind, haben wir die Leute respektiert, die es taten.
Period
Location

Austria

Interview
Ludwig Grossmann