Tag #131067 - Interview #83045 (Lucia Heilman)

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Damals war es so, dass man sich gerissen hat um die Absolventen, denn es gab zu wenige Ärzte. Man hat mir gleich gesagt, ich soll ins AKH [Anm.: Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien, Universitätsklinikum Wien, Sitz der Medizinischen Universität, größtes Krankenhaus Österreichs].

Zuerst war ich in der HNO-Abteilung des AKH. Ich hatte keine Ahnung und kam mit Illusionen dort hin. Ich dachte an wunderbare Ärzte, gute Beziehungen zu den Patienten, Diagnosen stellen und so weiter. Das AKH war ein Betrieb von ehrgeizbesessenen Menschen.

Das ging soweit, dass einer den anderen als Konkurrenten empfand. Die HNO-Abteilung hatte einen Dachgarten, und ich bin jeden Mittag hinaufgegangen und habe fast geweint. Gutes Verhältnis Arzt-Patienten, das hat’s überhaupt nicht gegeben, und dass ein Arzt etwas einem Frischling wie mir erklärt, das hat’s auch nicht gegeben.

Jeder wollte den anderen nur herunterdrücken. Und diese Hierarchie: wenn man zum Patienten kommt, geht zuerst der Professor, dann der Dozent, dann der Oberarzt usw. Ich war doch neugierig und wissbegierig, ich wollte doch alles beim Patienten hören und sehen, was der Professor sagt und was er macht.

Ich bin also nach vorn gegangen, und die Oberschwester hat mich sofort nach hinten gezogen. Ich hab dort die Monate absolviert und mir gedacht, wenn das die Medizin ist, für die ich so gekämpft hatte, das ist nichts für mich.

Aber ich hab auch gedacht, vielleicht ist es in einem anderen Spital anders. Ich hab mich dann im AKH abgemeldet, obwohl auf der Kinderstation ein sehr guter Professor war, der meinte, dass ich vielleicht Kinder als Fach machen sollte. Aber ich hab mich so gefürchtet vor diesem AKH, dass ich dort die Facharztausbildung zur Kinderärztin nicht machen wollte.

Mein nächstes Krankenhaus war das Kaiser-Franz-Josef-Spital, meine nächste Abteilung war die Interne. Da bleibt man neun Monate, und dort war es ganz, ganz anders. Dort war ein Oberarzt, der sich bemüht hat, mir alles beizubringen, was ein Internist können muss.

Das war wunderbar für mich. Ich habe mich bemüht, alles das, was ein Arzt braucht, zu erlernen. Für die Patienten war ich die junge Frau Doktor, auch das hat mein Selbstbewusstsein sehr gestärkt.
Period
Location

Vienna
Austria

Interview
Lucia Heilman