Tag #131108 - Interview #78291 (Kitty Suschny)

Selected text
Die Edith hatte ein Gedicht geschrieben. Leider hat sie es nicht zerrissen, sondern nur zerknüllt in den Papierkorb geworfen. Ein Mädel hat den Zettel aus dem Papierkorb herausgezogen.

Da ist gestanden: 'Die braune Pest ist ins Land gekommen.' Daraufhin kam der neue Direktor und schrie: 'Ihr seid nicht würdig hier in die Schule zu gehen, ihr jüdisches Gesindel!' Wir haben natürlich alle gezittert.

Ich hab das meiner Mutter erzählt, und habe mich so gewundert, weil der Direktor gar nicht blond und blauäugig war. Er ist dann aus der Klasse gegangen und hat die Tür zugeschmissen. Da war ein Mädchen, der Vater war Polizist.

Nach dem Einmarsch wurde er sofort Oberwachtmeister in einem Gefängnis. Sie hat gesagt, sie will neben den Juden nicht mehr sitzen. Sie machte den Vorschlag, die Juden sollten auf der einen Seite sitzen und die katholischen, arischen Mädchen auf der anderen Seite. Die Lehrerin hat uns jüdische Kinder in die Fensterreihe gesetzt, wo es schön hell war.

Wir hatten eine Mathematiklehrerin, eine Karoline von Krassnig. Sie war Witwe, ich glaube ihr Mann ist im 1. Weltkrieg gefallen. Sie war die Cousine von unserem ehemaligen Klassenvorstand, der Frau Schwiepel.

Einmal kam sie in die Klasse und alle haben geschrieen: 'Heil Hitler!' Da hat sie gesagt: 'Setzen!' Momentan haben wir uns ein bisschen verdutzt angeschaut, sie hatte nicht 'Heil Hitler' gesagt, sondern 'setzen'. Sie nahm das Klassenbuch, schaute hinein und sagte:

'Seid´s ihr verrückt, warum habt ihr euch umgesetzt?' Sie hatte sich die Namen der Kinder nur nach der Sitzordnung gemerkt.

Da hat das Mädchen gesagt, sie will neben den Juden nicht mehr sitzen. Nach einigen Tagen wurde dieses Mädchen von der Mathematiklehrerin zur Mathematikprüfung an die Tafel gerufen.

Die hat nichts gekonnt und zu unserer großen Überraschung, hat die Lehrerin gesagt: 'Ach so, auf Aufmärsche kann man gehen, aber lernen muss man heutzutage nicht mehr.'

Wir haben uns alle so ein bisschen verstohlen angeguckt. Die Lehrerin war sehr nett zu uns jüdischen Schülerinnen. Es ist mir aufgefallen, dass sie, wenn sie konnte, uns Vorteile hat zukommen lassen. Sie hat nicht sehr streng geprüft.
Period
Location

Vienny
Austria

Interview
Kitty Suschny