Tag #132266 - Interview #78289 (Gertrude Kritzer)

Selected text
In meiner Kindheit habe ich keinen Antisemitismus erlebt. In einem kleinen
Dorf wie Krumbach kennt jeder jeden und mein Leben war ganz normal. Vor
1938 sagte nie jemand zu mir, ich sei eine Jüdin und er wolle mit mir
nichts zu tun haben. Auch in der Schule nicht. Ich kannte den Unterschied
zwischen mir und den anderen Mädchen überhaupt nicht. Ich wachte morgens
auf und ging wie alle anderen Kinder in die Schule, die neben der Kirche
war. Eigentlich rannte ich immer in die Schule, damit ich meinem Lehrer die
Klassentür aufhalten konnte, und er stellte mich dann auf das Podium und
sagte zu den anderen Kindern:
'Seht euch das an, Kinder, und lernt von der Trude Blum!' Ich lernte gut
und die Lehrer hatten meine Brüder und mich besonders gern. Von meinen
älteren Brüdern Ignatz und Wilhelm hingen sogar noch in meiner Schulzeit
Zeichnungen an der Klassenwand. Nur mein kleiner Bruder Rudi war ein
schlechter Schüler, aber brav waren wir alle.
Ich war auch mit der Tochter des Oberlehrers befreundet. Ich erinnere mich
an einen Lehrer, von dem ich später dachte, er sei ein bisschen
antisemitisch. Andererseits korrespondierte er jedoch noch mit meinen
Brüdern, als diese schon in Palästina waren.
Period
Location

Krumbach
Österreich

Interview
Gertrude Kritzer