Tag #133908 - Interview #78530 (Edith Brickell)

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Nach dem Tod des Großvaters ‚erhielten’ meine Eltern selbstverständlich die Großmutter. Meine Mutter besuchte sie fast jeden Tag im 2. Bezirk in der Lilienbrunngasse 10. Auch die Geschwister meiner Mutter kümmerten sich um die Großmutter. Der älteste Bruder meiner Mutter, Onkel Siegmund, ging sie jeden Tag besuchen.

Onkel Max war nicht verheiratet und wohnte bei ihr, und Onkel Joschi wohnte nach seiner Scheidung wieder bei ihr. Meiner Großmutter fehlte es an nichts, sie hatte die Kinder, die sich um sie kümmerten, und sie hatte sogar ein Dienstmädchen.

Die Wohnung meiner Großmutter bestand aus zwei Zimmern und einem Kabinett, die Toilette war am Gang. Meine Großmutter war sehr fromm. Sie trug einen Sheitl, das waren Haare, die auf einem Band angenäht waren. Sie kämmte ihre Haare nach vorn, das Band mit den Haaren befestigte sie am Kopf, und dann gab sie ihre eigenen Haare darüber. Ich schaute ihr oft und gern dabei zu.

Jeden Freitagabend verbrachten wir zu Hause und empfingen den Schabbat. Meine Mutter zündete Kerzen, mein Vater sprach das Gebet, und es gab immer als Vorspeise Pfefferkarpfen und Hühnersuppe und als Hauptspeise Huhn. Ich erinnere mich, dass meine Mutter nach dem Pfefferkarpfen immer ein Stamperl Schnaps trank.

Am Samstag sperrte mein Vater allerdings das Geschäft auf – der Verlust wäre zu groß gewesen.
Period
Location

Vienna
Österreich

Interview
Edith Brickell