Meine Kinder gingen in den Schomer Hatzair [27] und hatten zu Hause und außer Haus ein jüdisches Leben. Nach der Matura ging unsere Tochter, zunächst für ein Jahr, nach Israel. Sie besuchte an der Hebräischen Universität in Jerusalem einen Mechina-Kurs [Kurse für Neueinwanderer, die auf ein Studium an der regulären Uni vorbereitet werden]. Dann kam sie für zwei Jahre nach Wien zurück, studierte in Wien etwas lustlos Psychologie, und lernte anlässlich einer Reise des Schomer Hatzair nach Auschwitz [28] einen israelischen Burschen aus einem Kibbutz [29] kennen und lieben und ging wieder nach Israel. Dieser Kibbutz war der einzige Schweinefleischproduzent in Israel. Und was tat Gott? Die nächste Beziehung meiner Tochter war ein sehr lieber Bub, der koscher [30] war. Daraufhin führte unsere Tochter einen koscheren Haushalt. Diese Beziehung hielt auch nicht ewig, sie machte ihren BA in Psychologie in Bar Ilan [Israel], ihren MA in Haifa [Israel] und irgendwann, es waren ungefähr elf Jahre vergangen, sagte sie, dass sie sich zu europäisch fühle, um mit den Aggressionen im Alltag in Israel auf die Dauer fertig zu werden.
- Traditions 11756
- Language spoken 3019
- Identity 7808
- Description of town 2440
- Education, school 8506
- Economics 8772
- Work 11672
- Love & romance 4929
- Leisure/Social life 4159
- Antisemitism 4822
-
Major events (political and historical)
4256
- Armenian genocide 2
- Doctor's Plot (1953) 178
- Soviet invasion of Poland 31
- Siege of Leningrad 86
- The Six Day War 4
- Yom Kippur War 2
- Ataturk's death 5
- Balkan Wars (1912-1913) 35
- First Soviet-Finnish War 37
- Occupation of Czechoslovakia 1938 83
- Invasion of France 9
- Molotov–Ribbentrop Pact 65
- Varlik Vergisi (Wealth Tax) 36
- First World War (1914-1918) 216
- Spanish flu (1918-1920) 14
- Latvian War of Independence (1918-1920) 4
- The Great Depression (1929-1933) 20
- Hitler comes to power (1933) 127
- 151 Hospital 1
- Fire of Thessaloniki (1917) 9
- Greek Civil War (1946-49) 12
- Thessaloniki International Trade Fair 5
- Annexation of Bukovina to Romania (1918) 7
- Annexation of Northern Bukovina to the Soviet Union (1940) 19
- The German invasion of Poland (1939) 94
- Kishinev Pogrom (1903) 7
- Romanian Annexation of Bessarabia (1918) 25
- Returning of the Hungarian rule in Transylvania (1940-1944) 43
- Soviet Occupation of Bessarabia (1940) 59
- Second Vienna Dictate 27
- Estonian war of independence 3
- Warsaw Uprising 2
- Soviet occupation of the Balitc states (1940) 147
- Austrian Civil War (1934) 9
- Anschluss (1938) 71
- Collapse of Habsburg empire 3
- Dollfuß Regime 3
- Emigration to Vienna before WWII 36
- Kolkhoz 131
- KuK - Königlich und Kaiserlich 40
- Mineriade 1
- Post War Allied occupation 7
- Waldheim affair 5
- Trianon Peace Treaty 12
- NEP 56
- Russian Revolution 351
- Ukrainian Famine 199
- The Great Terror 283
- Perestroika 233
- 22nd June 1941 468
- Molotov's radio speech 115
- Victory Day 147
- Stalin's death 365
- Khrushchev's speech at 20th Congress 148
- KGB 62
- NKVD 153
- German occupation of Hungary (18-19 March 1944) 45
- Józef Pilsudski (until 1935) 33
- 1956 revolution 84
- Prague Spring (1968) 73
- 1989 change of regime 174
- Gomulka campaign (1968) 81
-
Holocaust
9685
- Holocaust (in general) 2789
- Concentration camp / Work camp 1235
- Mass shooting operations 337
- Ghetto 1183
- Death / extermination camp 647
- Deportation 1063
- Forced labor 791
- Flight 1410
- Hiding 594
- Resistance 121
- 1941 evacuations 866
- Novemberpogrom / Kristallnacht 34
- Eleftherias Square 10
- Kasztner group 1
- Pogrom in Iasi and the Death Train 21
- Sammelwohnungen 9
- Strohmann system 11
- Struma ship 17
- Life under occupation 803
- Yellow star house 72
- Protected house 15
- Arrow Cross ("nyilasok") 42
- Danube bank shots 6
- Kindertransport 26
- Schutzpass / false papers 95
- Warsaw Ghetto Uprising (1943) 24
- Warsaw Uprising (1944) 23
- Helpers 521
- Righteous Gentiles 269
- Returning home 1090
- Holocaust compensation 112
- Restitution 109
- Property (loss of property) 595
- Loss of loved ones 1724
- Trauma 1029
- Talking about what happened 1807
- Liberation 558
- Military 3322
- Politics 2640
-
Communism
4468
- Life in the Soviet Union/under Communism (in general) 2592
- Anti-communist resistance in general 63
- Nationalization under Communism 221
- Illegal communist movements 98
- Systematic demolitions under communism 45
- Communist holidays 311
- Sentiments about the communist rule 930
- Collectivization 94
- Experiences with state police 349
- Prison/Forced labor under communist/socialist rule 449
- Lack or violation of human and citizen rights 483
- Life after the change of the regime (1989) 493
- Israel / Palestine 2190
- Zionism 847
- Jewish Organizations 1200
Displaying 25591 - 25620 of 50826 results
Timothy Smolka
Meine Kinder gingen in den Schomer Hatzair [27] und hatten zu Hause und außer Haus ein jüdisches Leben. Nach der Matura ging unsere Tochter, zunächst für ein Jahr, nach Israel. Sie besuchte an der Hebräischen Universität in Jerusalem einen Mechina-Kurs [Kurse für Neueinwanderer, die auf ein Studium an der regulären Uni vorbereitet werden]. Dann kam sie für zwei Jahre nach Wien zurück, studierte in Wien etwas lustlos Psychologie, und lernte anlässlich einer Reise des Schomer Hatzair nach Auschwitz [28] einen israelischen Burschen aus einem Kibbutz [29] kennen und lieben und ging wieder nach Israel. Dieser Kibbutz war der einzige Schweinefleischproduzent in Israel. Und was tat Gott? Die nächste Beziehung meiner Tochter war ein sehr lieber Bub, der koscher [30] war. Daraufhin führte unsere Tochter einen koscheren Haushalt. Diese Beziehung hielt auch nicht ewig, sie machte ihren BA in Psychologie in Bar Ilan [Israel], ihren MA in Haifa [Israel] und irgendwann, es waren ungefähr elf Jahre vergangen, sagte sie, dass sie sich zu europäisch fühle, um mit den Aggressionen im Alltag in Israel auf die Dauer fertig zu werden. Sie ging nach Deutschland an die Universität in Marburg, weil die gerade dort das Thema behandelten, dass sie fasziniert: Linguistik im Zusammenhang mit Psychologie. Seither arbeitet sie an der Universität in Marburg, wohnt in Frankfurt und wird wahrscheinlich nicht mehr nach Israel zurückgehen. Nach ihrem Doktorat möchte sie, wenn es ihr gelingt, an eine amerikanische Universität gehen. Wien ist ihr zu eng geworden, sie kommt uns besuchen, aber sie will nicht mehr hier leben.
Mein Sohn war drei Jahre an der Hotelfachschule in Krems, machte sein Praktikum in verschiedenen Hotels und besuchte danach einen Aufbaulehrgang in der Gastgewerbeschule am Judenplatz, den er mit der Matura abschloss. Er arbeitete dann bei Austria Hotels International und seit drei Jahren in einem Austria-Trend-Hotel als Direktionsassistent und Food and Beverage-Manager. Er ist verheiratet, seine Frau erwartet demnächst ihr erstes Kind [Daniel Peter Smolka wurde am 30. November 2004 in Wien geboren].
Vor 15 Jahren arbeitete meine Tochter während des Studiums im jüdischen pädagogischen Institut in Wien. Das jüdische pädagogische Zentrum wurde von Israel gegründet, um jüdische Kultur in der ganzen Welt publik zu machen und die Vorstellung war, dass diese Zentren maximal fünf Jahre von Israel erhalten werden und dann so weit sind, dass sie sich selbst erhalten können.
Mein Sohn war drei Jahre an der Hotelfachschule in Krems, machte sein Praktikum in verschiedenen Hotels und besuchte danach einen Aufbaulehrgang in der Gastgewerbeschule am Judenplatz, den er mit der Matura abschloss. Er arbeitete dann bei Austria Hotels International und seit drei Jahren in einem Austria-Trend-Hotel als Direktionsassistent und Food and Beverage-Manager. Er ist verheiratet, seine Frau erwartet demnächst ihr erstes Kind [Daniel Peter Smolka wurde am 30. November 2004 in Wien geboren].
Vor 15 Jahren arbeitete meine Tochter während des Studiums im jüdischen pädagogischen Institut in Wien. Das jüdische pädagogische Zentrum wurde von Israel gegründet, um jüdische Kultur in der ganzen Welt publik zu machen und die Vorstellung war, dass diese Zentren maximal fünf Jahre von Israel erhalten werden und dann so weit sind, dass sie sich selbst erhalten können.
Meine Kinder gingen in den Schomer Hatzair [27] und hatten zu Hause und außer Haus ein jüdisches Leben.
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After WW2
See text in interview
Zu meinem 50. Geburtstag schrieb mir meine Mutter folgenden Brief:
Timmy, „Mein Kleiner“, Du wirst Fünfzig. Und dies erfüllt mich mit großer Freude. Denn zur Zeit Deiner Geburt schien es zweifelhaft, ob wir alle lange würden überleben können.
Du und Deine Existenz bedeuten für mich einen wahren Triumph über die schreckliche Phase der Geschichte, die uns, und alles was uns lieb war, zu verschlingen drohte.
Und Du hast mir wirklich alles sehr leicht gemacht. Die Schwangerschaft war ein Vergnügen und ebenso die Entbindung. Ich glaube, Du kennst den Hergang. Nachdem ich für die Eltern Mittag gekocht hatte und wir gegessen hatten, fand ich, genug sei genug, rief ein Taxi und landete fünf Minuten später mit Koffer und Dorli im Tower-House Nursing-Home. Ohne Wehen allerdings. Ich wurde ins Bett befohlen und eine halbe Stunde später warst Du auch drin. Manfred kam gerade zurecht, um Dich zu begrüssen. Und etwas später schien Peter auf mit Walter Reif, um mich zu besuchen und waren bass erstaunt, schon zwei vorzufinden.
A propos leicht: ich habe Dir vielleicht niemals deutlich genug gesagt, wie dankbar ich Dir bin für Deine selbstverständliche und aktive Hilfe, um mir ein neues Heim zu schaffen, nachdem ich meine Basis verloren hatte. Aber zurück zum Wesentlichen, nämlich Dir: Du gediehst herrlich. Aber nach einigen Monaten war unser Frieden dahin. Ich ging mit Euch aufs Land zu Kuhns, es folgte ein Hin-und Her für Euch und, schließlich nach dem Fall Frankreichs Eure „Verschickung nach Amerika“, um wenigstens Euch in Sicherheit zu bringen. Dies ist auch der Grund, warum es so relativ wenige Fotos von Dir gibt. Das Leben in jener Zeit, auch nach Eurer Rückkehr, war einfach zu schwierig in jeder Beziehung - Kamera hatten wir auch keine.
Timmy, „Mein Kleiner“, Du wirst Fünfzig. Und dies erfüllt mich mit großer Freude. Denn zur Zeit Deiner Geburt schien es zweifelhaft, ob wir alle lange würden überleben können.
Du und Deine Existenz bedeuten für mich einen wahren Triumph über die schreckliche Phase der Geschichte, die uns, und alles was uns lieb war, zu verschlingen drohte.
Und Du hast mir wirklich alles sehr leicht gemacht. Die Schwangerschaft war ein Vergnügen und ebenso die Entbindung. Ich glaube, Du kennst den Hergang. Nachdem ich für die Eltern Mittag gekocht hatte und wir gegessen hatten, fand ich, genug sei genug, rief ein Taxi und landete fünf Minuten später mit Koffer und Dorli im Tower-House Nursing-Home. Ohne Wehen allerdings. Ich wurde ins Bett befohlen und eine halbe Stunde später warst Du auch drin. Manfred kam gerade zurecht, um Dich zu begrüssen. Und etwas später schien Peter auf mit Walter Reif, um mich zu besuchen und waren bass erstaunt, schon zwei vorzufinden.
A propos leicht: ich habe Dir vielleicht niemals deutlich genug gesagt, wie dankbar ich Dir bin für Deine selbstverständliche und aktive Hilfe, um mir ein neues Heim zu schaffen, nachdem ich meine Basis verloren hatte. Aber zurück zum Wesentlichen, nämlich Dir: Du gediehst herrlich. Aber nach einigen Monaten war unser Frieden dahin. Ich ging mit Euch aufs Land zu Kuhns, es folgte ein Hin-und Her für Euch und, schließlich nach dem Fall Frankreichs Eure „Verschickung nach Amerika“, um wenigstens Euch in Sicherheit zu bringen. Dies ist auch der Grund, warum es so relativ wenige Fotos von Dir gibt. Das Leben in jener Zeit, auch nach Eurer Rückkehr, war einfach zu schwierig in jeder Beziehung - Kamera hatten wir auch keine.
Zu meinem 50. Geburtstag schrieb mir meine Mutter folgenden Brief:
Timmy, „Mein Kleiner“, Du wirst Fünfzig. Und dies erfüllt mich mit großer Freude. Denn zur Zeit Deiner Geburt schien es zweifelhaft, ob wir alle lange würden überleben können.
Du und Deine Existenz bedeuten für mich einen wahren Triumph über die schreckliche Phase der Geschichte, die uns, und alles was uns lieb war, zu verschlingen drohte.
Timmy, „Mein Kleiner“, Du wirst Fünfzig. Und dies erfüllt mich mit großer Freude. Denn zur Zeit Deiner Geburt schien es zweifelhaft, ob wir alle lange würden überleben können.
Du und Deine Existenz bedeuten für mich einen wahren Triumph über die schreckliche Phase der Geschichte, die uns, und alles was uns lieb war, zu verschlingen drohte.
Meine Frau wusste als Kind, die Großmutter liest am Samstag komische Bücher, das war natürlich ein Gebetbuch, die Großmutter bäckt jedes Wochenende Mohnstriezeln, warum weiß man nicht, und sie zündet Kerzen an; so sind halt Großmütter. Im Jahre 1941, als die Deutschen die Sowjetunion überfielen, wurden die Frauen und Kinder der Familie an den Ural evakuiert. Der Vater arbeitete im historischen Institut in Moskau und 1941 wurde das Institut nach Taschkent in Usbekistan evakuiert. Otto Fischer kam 1945 zusammen mit seinen Brüdern Ernst und Walter, alle waren in die Sowjetunion emigriert und Kommunisten geworden, nach Wien zurück. Meine Schwiegermutter mit den beiden Töchtern und der Großmutter kamen Ende 1946 über Wien nach Graz in das elterliche Haus, das arisiert worden war und zurückgestellt wurde.
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During WW2
See text in interview
Eva war ungefähr zehn Jahre alt, als der vierteilige amerikanische Fernsehfilm ‚Holocaust’ gesendet wurde. Sie wollte sich den Film ansehen und nach dem ersten Teil sagte sie: ‚So etwas könnte uns doch jederzeit wieder passieren!’ Wir erschraken sehr, weil wir genau das gemacht hatten, was wir unseren Eltern vorgeworfen hatten: Zugehörigkeit zum Judentum war nichts Positives für unsere Kinder, es war nur negativ und hatte Verfolgung zur Folge. Ich arbeitete im Spital und eines Tages kam ich mit einem Medizinstudenten, den ich mit ausbildete, ins Gespräch. Vom ersten Tag an hatte ich gewusst, dass er Jude. Als ich ihn fragte, sagte er: ‚Ja, du auch?’ Ich antwortete: ‚Sicher bin ich Jude, aber ich bin nicht Mitglied in der Gemeinde.’ Er fragte mich, warum ich nicht Gemeindemitglied sei. Und ich erklärte, wie das kam, dass meine Eltern auch in unserem Namen ausgetreten waren und dass ich mit Religion nichts zu tun habe. Und da sagte er zu mir: ‚Du bist Jude, und du tust dir nichts Gutes, wenn du nicht dazu gehörst!’
Es waren mehrere Ereignisse, auch der Antisemitismus, den ich aber direkt nicht zu spüren bekam, dass meine Frau und ich beschlossen, dass es falsch sei, nicht dazuzugehören, nicht Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu sein. Ich sprach mit dem Rabbiner und er sagte, es sei kein Problem, da ich von jüdischen Eltern und meine Frau von einer jüdischen Mutter abstammen. Eines versprach ich dem Rabbiner: Wir werden lernen!
Wir wurden Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, begannen, in die Synagoge zu gehen und lernten gemeinsam mit unseren Kindern zehn Jahre lang jede Woche einmal die jüdische Religion. Unser Lehrer Mendi Moshkovitz kam jeden Mittwoch um sieben Uhr abends, um halb neun gingen die Kinder schlafen, und wir saßen mit ihm bis Mitternacht und sprachen im wahrsten Sinne über Gott und die Welt. Er wurde ein wirklicher Freund der Familie, auch der Kinder.
Mein Vater starb am 4. November 1980, im Alter von 68 Jahren, in Wien. Meine Frau und ich waren Mitglieder der Kultusgemeinde, unsere Kinder auch, und irgendwann sagte meine Mutter:
‚Es ist doch idiotisch, ihr seid alle in die Kultusgemeinde eingetreten, ich bin jüdisch geboren und jüdisch aufgewachsen, ich will auch wieder eintreten.’ Ich sprach mit dem Rabbiner und natürlich gab es keinen Grund, warum meine Mutter nicht Mitglied der Kultusgemeinde werden sollte. Also gingen wir gemeinsam ins Matrikelamt und sagten, meine Mutter möchte in die Kultusgemeinde eintreten, sie hat einen jüdischen Geburtsschein, und wir haben alles dabei. Die Beamtin, ein relativ junges Mädchen sagte: ‚Nein, das geht leider nicht.’
‚Warum soll das nicht gehen? Ich hab schon mit dem Rabbiner gesprochen, er weiß davon und hat Ihnen Mitteilung gemacht.’ Ich war entsetzt! Aber sie sagte: ‚Nein, es geht auf gar keinen Fall - heute. Ich hab mir in der Früh beim Frühstück den Finger verletzt und kann nicht mit der Schreibmaschine schreiben.’ Daraufhin durfte ich die Schreibmaschinenarbeit übernehmen und nahm somit meine Mutter in die Kultusgemeinde auf.
Meine Mutter ging dann wieder zu den Hohen Feiertagen [25] in die Synagoge. In den 1980er-Jahren arbeitete sie im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [26].
Es waren mehrere Ereignisse, auch der Antisemitismus, den ich aber direkt nicht zu spüren bekam, dass meine Frau und ich beschlossen, dass es falsch sei, nicht dazuzugehören, nicht Mitglied der Jüdischen Gemeinde zu sein. Ich sprach mit dem Rabbiner und er sagte, es sei kein Problem, da ich von jüdischen Eltern und meine Frau von einer jüdischen Mutter abstammen. Eines versprach ich dem Rabbiner: Wir werden lernen!
Wir wurden Mitglieder der Jüdischen Gemeinde, begannen, in die Synagoge zu gehen und lernten gemeinsam mit unseren Kindern zehn Jahre lang jede Woche einmal die jüdische Religion. Unser Lehrer Mendi Moshkovitz kam jeden Mittwoch um sieben Uhr abends, um halb neun gingen die Kinder schlafen, und wir saßen mit ihm bis Mitternacht und sprachen im wahrsten Sinne über Gott und die Welt. Er wurde ein wirklicher Freund der Familie, auch der Kinder.
Mein Vater starb am 4. November 1980, im Alter von 68 Jahren, in Wien. Meine Frau und ich waren Mitglieder der Kultusgemeinde, unsere Kinder auch, und irgendwann sagte meine Mutter:
‚Es ist doch idiotisch, ihr seid alle in die Kultusgemeinde eingetreten, ich bin jüdisch geboren und jüdisch aufgewachsen, ich will auch wieder eintreten.’ Ich sprach mit dem Rabbiner und natürlich gab es keinen Grund, warum meine Mutter nicht Mitglied der Kultusgemeinde werden sollte. Also gingen wir gemeinsam ins Matrikelamt und sagten, meine Mutter möchte in die Kultusgemeinde eintreten, sie hat einen jüdischen Geburtsschein, und wir haben alles dabei. Die Beamtin, ein relativ junges Mädchen sagte: ‚Nein, das geht leider nicht.’
‚Warum soll das nicht gehen? Ich hab schon mit dem Rabbiner gesprochen, er weiß davon und hat Ihnen Mitteilung gemacht.’ Ich war entsetzt! Aber sie sagte: ‚Nein, es geht auf gar keinen Fall - heute. Ich hab mir in der Früh beim Frühstück den Finger verletzt und kann nicht mit der Schreibmaschine schreiben.’ Daraufhin durfte ich die Schreibmaschinenarbeit übernehmen und nahm somit meine Mutter in die Kultusgemeinde auf.
Meine Mutter ging dann wieder zu den Hohen Feiertagen [25] in die Synagoge. In den 1980er-Jahren arbeitete sie im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes [26].
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After WW2
See text in interview
Unsere Tochter Eva Johanna wurde am 21. Februar 1968 geboren und unser Sohn Stefan Jakob am 22. Januar 1970. Unsere Kinder waren in der Volksschule außerordentliche Hörer im katholischen Religionsunterricht, weil meine Frau und ich der Meinung waren, der Großteil der Kinder in der Klasse geht in den Religionsunterricht, sollen sie auch gehen. Wir waren außerdem der Meinung, die Kinder sollen wissen, dass die Menschen verschieden leben und dass es Christen, Moslems und Juden gibt. Wenn wir im Sommer mit ihnen in Jugoslawien Urlaub machten, besichtigten wir zum Beispiel auch eine Moschee. Wir waren zu Chanukkafeiern [23] mit den Kindern in Wien in der Synagoge, auch mit den Kindern meines Bruders. Ich hatte in den ersten zwei Gymnasiumsklassen am evangelischen Religionsunterricht teilgenommen, weil meine Eltern fanden, man soll wissen, woran ein Großteil der Bevölkerung glaubt. Die Lehrerin meiner Kinder fragte mich aber wiederholt, wann ich denn vorhätte, die Kinder taufen zu lassen. Und ich sagte ihr, dass ich das keineswegs vorhabe und sicher nie tun werde. Irgendwann bekamen sie die Aufgabe, über ‚Unser größtes Fest: Ostern’ zu schreiben. Meine Tochter schrieb in ihr Heft: Unser größtes Fest heißt Pessach [24] und das größte Fest der Christen heißt Ostern. Also scheinen wir sie doch nicht so wertfrei erzogen zu haben, wie wir uns das eingebildet hatten.
Mein Bruder, Kaufmann von Beruf, genauso areligiös wie ich aufgewachsen, wurde ein ebenso bewusster Jude wie ich und beschloss irgendwann, eine jüdische Frau zu finden. Er fand eine, verliebte sich, und deren mütterliche Großmutter sagte zu ihm sinngemäß: ‚Wenn du nicht in der Synagoge heiratest, werde ich den Kontakt zu euch abbrechen und meine Enkelin nicht mehr sehen!’ Und so trat mein Bruder lange vor mir in die Kultusgemeinde ein, um seine Frau zu heiraten. Seine Kinder wurden von Geburt an jüdisch erzogen. Mein Vater lud den Rabbiner nach Hause ein, um sich mit ihm zu unterhalten, und dann fragte ihn der Rabbiner, ob er und meine Mutter nicht auch der Kultusgemeinde beitreten wollten, aber das lehnte mein Vater entschieden ab. Er sagte: ‚Was meine Kinder machen ist ihre Sache, ich akzeptiere es und kann es durchaus gutheißen, aber das hat mit mir nichts zu tun.
Mein Bruder, Kaufmann von Beruf, genauso areligiös wie ich aufgewachsen, wurde ein ebenso bewusster Jude wie ich und beschloss irgendwann, eine jüdische Frau zu finden. Er fand eine, verliebte sich, und deren mütterliche Großmutter sagte zu ihm sinngemäß: ‚Wenn du nicht in der Synagoge heiratest, werde ich den Kontakt zu euch abbrechen und meine Enkelin nicht mehr sehen!’ Und so trat mein Bruder lange vor mir in die Kultusgemeinde ein, um seine Frau zu heiraten. Seine Kinder wurden von Geburt an jüdisch erzogen. Mein Vater lud den Rabbiner nach Hause ein, um sich mit ihm zu unterhalten, und dann fragte ihn der Rabbiner, ob er und meine Mutter nicht auch der Kultusgemeinde beitreten wollten, aber das lehnte mein Vater entschieden ab. Er sagte: ‚Was meine Kinder machen ist ihre Sache, ich akzeptiere es und kann es durchaus gutheißen, aber das hat mit mir nichts zu tun.
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After WW2
See text in interview
Die Familie übersiedelte 1951 nach Wien, meine Frau war zu dieser Zeit elf Jahre alt, und meine Schwiegermutter nahm eine Konzipiententätigkeit auf. Im Alter von 50 Jahren absolvierte sie ihre Anwaltsprüfung, gründete eine Kanzlei, mit der sie die Familie erhielt, denn der Vater als Politiker verdiente wenig. Sie war als Anwältin hauptsächlich mit Pensionsfragen und Wiedergutmachungszahlungen für Juden beschäftigt, also auch von Juden umgeben. In fortgeschrittenem Alter kam sie mit uns zu Jom Kippur in die Synagoge, aber sie betonte immer: ,Nur euch zu Liebe!’ Die meisten Geschwister meiner Schwiegermutter, nur eine Schwester, die in Prag lebte, lebte konfessionslos, führten in Südamerika, wohin sie emigriert waren, sehr wohl ein jüdisches Leben. Als meine Frau 19jährig für drei Monate ihre Onkel und Tanten in Buenos Aires besuchte, erlebte sie das erste Mal in ihrem Leben praktizierende jüdische Familien.
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After WW2
See text in interview
Die Familie übersiedelte 1951 nach Wien, meine Frau war zu dieser Zeit elf Jahre alt, und meine Schwiegermutter nahm eine Konzipiententätigkeit auf. Im Alter von 50 Jahren absolvierte sie ihre Anwaltsprüfung, gründete eine Kanzlei, mit der sie die Familie erhielt, denn der Vater als Politiker verdiente wenig. Sie war als Anwältin hauptsächlich mit Pensionsfragen und Wiedergutmachungszahlungen für Juden beschäftigt, also auch von Juden umgeben.
Die Familie übersiedelte 1951 nach Wien, meine Frau war zu dieser Zeit elf Jahre alt, und meine Schwiegermutter nahm eine Konzipiententätigkeit auf. Im Alter von 50 Jahren absolvierte sie ihre Anwaltsprüfung, gründete eine Kanzlei, mit der sie die Familie erhielt, denn der Vater als Politiker verdiente wenig. Sie war als Anwältin hauptsächlich mit Pensionsfragen und Wiedergutmachungszahlungen für Juden beschäftigt, also auch von Juden umgeben.
Als meine Frau das Licht der Welt erblickte, war die Großmutter bereits da, die das strikte Verbot meiner Schwiegereltern einhielt, vor den Kindern über Religion zu sprechen. Andererseits lief mein nichtjüdischer Schwiegervater erfolgreich quer durch Moskau, um für sie Schabbesleuchter aufzutreiben, damit sie am Schabbat Kerzen anzünden kann. Meine Frau wusste als Kind, die Großmutter liest am Samstag komische Bücher, das war natürlich ein Gebetbuch, die Großmutter bäckt jedes Wochenende Mohnstriezeln, warum weiß man nicht, und sie zündet Kerzen an; so sind halt Großmütter.
. Als meine Frau das Licht der Welt erblickte, war die Großmutter bereits da, die das strikte Verbot meiner Schwiegereltern einhielt, vor den Kindern über Religion zu sprechen. Andererseits lief mein nichtjüdischer Schwiegervater erfolgreich quer durch Moskau, um für sie Schabbesleuchter aufzutreiben, damit sie am Schabbat Kerzen anzünden kann.
Am Anfang meines Medizinstudiums begegnete mir Susanne Fischer, die ältere Schwester meiner Frau, die ich schon kannte und die auch Medizin studierte. Ich bat sie, mir jemanden zu nennen, mit dem ich weiter Russisch lernen könne, und sie bot mir an, bei ihr Unterricht zu nehmen. So kam ich dann in das Haus Fischer - als Schüler der Susi. Bald begann ich mich für die jüngere Schwester Franzi zu interessieren. Franzi fuhr im Alter von 22 Jahren nach London, ich fuhr auch nach London, erkundigte mich vorher nach ihrer Adresse und besuchte sie dort. Es wurde Liebe daraus. Ein Jahr später, 1963, heirateten wir in Wien.
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After WW2
See text in interview
Nach der Matura begann ich, auf ausdrücklichen Wunsch meiner Eltern, Welthandel zu studieren. Mein Wunsch war es aber immer schon, Medizin zu studieren. Mein Bruder beschloss kurz vor der Matura, dass er Medizin studieren will, und die Eltern wollten, dass einer von uns Brüdern dem Vater im Betrieb helfen müsse. So wurde ich massiv unter Druck gesetzt. Ich begann mit dem Welthandelsstudium und inskribierte auch Russisch, denn ich hatte große Freude daran, Sprachen zu lernen. Nach ungefähr einem Monat gab es eine Auseinandersetzung mit den Eltern und ich sagte zu meinem Vater, er solle mich in Ruhe lassen, nachdem ich schon ihm zuliebe Welthandel studiere. Daraufhin sagte er, wenn mich das wirklich nicht interessiere, müsse ich mich nicht opfern. Am nächsten Tag inskribierte ich an der medizinischen Fakultät. Mein Bruder hatte dann doch keine sehr große Freude an der Medizin und ging in den väterlichen Betrieb; so war die Welt wieder in Ordnung.
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After WW2
See text in interview
Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass wir eine jüdische Familie sind, aber nicht religiös. Das hatte zur Folge, dass mein Bruder und ich für die jüdische Gesellschaft nicht jüdisch waren und nicht dazu gehörten, aber jüdisch genug waren für die Antisemiten. Das Judentum für uns war eigentlich nur negativ beladen, denn über den Holocaust wurde sehr viel in der Familie gesprochen, darüber, dass viele Verwandte ermordet wurden. Wir hatten auch Verwandte und Bekannte in England, die nach Palästina gegangen waren, um für den Staat Israel zu kämpfen, und manche verloren dabei ihr Leben. Mit Israel waren meine Eltern immer solidarisch. Mein Vater verleugnete nie seine jüdische Herkunft, seine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, wohl aber die Religion - bis zu seinem Tode. Als kleiner Junge sagte ich immer: ‚Wir sind keine Juden, denn wir glauben nicht an Gott, aber mein Großvater ist Jude, denn der geht immer in die Synagoge in der Abbey Road.’ Dass auch ich jüdisch bin, war mir in den ersten Tagen in Wien noch nicht bewusst, aber es wurde mir dann schnell bewusst gemacht: Ich spielte oft mit einem Buben auf der Straße vor dem Haus. Als wir einmal zu streiten begannen, kam ihm seine Großmutter zu Hilfe und sagte zu mir: ‘Geh ham, du Jud’. Das war das erste Zusammentreffen mit der Tatsache, dass ich Jude bin, dass ich anscheinend etwas anderes bin als die anderen. Als ich das zu Hause meinem Vater erzählte, sagte er: ‚Wenn dir das noch einmal jemand sagt, dann verprügel ihn.’ Und ich sagte: ‚Aber wenn er größer und stärker ist als ich?’ ‚Dann verprügelst du ihn trotzdem’, sagte mein Vater. Und genau so praktizierte ich das dann.
Ich war in der Klasse der einzige Jude. Wir wohnten in Mauer, und ich ging in Wien im 1. Bezirk in die Oberstufe der Stubenbastei [Anm. Gymnasium]. In den fünfziger Jahren begann man in Amerika schwarze Kinder in die Schulen zu integrieren, in die bisher nur Weiße gingen. Da waren große Aufregungen, besonders in Little Rock in Arkansas, und schwarze Kinder wurden verprügelt. Wir hatten einen Biologieprofessor in der Schule, er war Kriegsinvalide, und der sagte, was sich in Amerika an Rassismus abspiele sei furchtbar, so etwas wäre in Österreich nie möglich. Und ich sagte: ‚Aber Herr Professor, es sind doch erst 12 Jahre her, dass in Österreich jüdische Kinder aus den Schulen hinausgeschmissen wurden.’ Daraufhin sagte er, ich würde an Verfolgungswahn leiden, so etwas hätte es in Österreich nie gegeben. Ein Mann, der im Krieg war und sehr wohl wusste, was passiert war, nicht hatte wegschauen können, log einfach.
Oder wenn ich auf Schikurs mit der Klasse fuhr, erzählten Lehrer von ihrer herrlichen Kriegszeit, und ich wusste sehr genau, dass ich auf der anderen Seite stehe. Ich hatte wenig Kontakt zu meinen Mitschülern und glaubte immer, das läge daran, dass ich sofort nach der Schule nach Hause nach Mauer fuhr, daher wenige Berührungspunkte mit den anderen Kindern hatte.
Anlässlich des 25sten Matura-Jubiläums machte ich einen Schulkollegen ausfindig, der inzwischen in Berlin lebt. Er war von sudetendeutschem Adel, und nach der Maturafeier übernachtete er bei meiner Frau und mir. In der Früh beim Frühstück sagte ich:
‚Weißt du, ich war ja nie in die Klasse integriert, weil ich in Mauer gewohnt hab und alle anderen Kinder im 1. und 3. Bezirk.’ Und er sagte:
‚Das kann doch nicht dein Ernst sein!’
‚Na sicher, wieso nicht?’
‚Lebst du hinterm Mond?’ Und dann erzählte er, dass alle wussten, dass ich ein jüdisches Kind war, und die anderen Kinder waren zum Beispiel Kinder eines Nazianwaltes, eines Ariseurs usw. ‚Deswegen hast du nie dazugehört!’
Es dauerte also 25 Jahre, bis ich drauf kam, warum ich nicht dazugehörte. Das war ein perfekter Verdrängungsmechanismus! Der Antisemitismus, den ich von meinen Mitschülern erlebte, war in Österreich zu dieser Zeit völlig normal, und ich glaube, er hat nie aufgehört, obwohl meine Kinder behaupten, dass sie in der Schule keine antisemitischen Erfahrungen gemacht haben.
Als ich 12 Jahre alt war, kam mein mütterlicher Großvater aus London zu Besuch nach Österreich, verbrachte den Sommer mit uns auf einem Bauernhof in Tirol und fragte mich:
‚Kannst du dir vorstellen, eine Nichtjüdin zu heiraten?’ Ich sagte: ‚Selbstverständlich, es sind doch alle Menschen gleich, ich mache keinen Unterschied.’
Und da sagte er: ‚Dort in der Bücherstellage sind Gedichte von Heine, gib sie mir!’
Ich brachte sie ihm und er suchte das Gedicht von der Donna Klara heraus, die mit dem Heiß geliebten Ritter zusammen ist, und sie sagt ständig etwas über die gottverdammten Juden und darauf sagt er nach der gemeinsamen Liebesnacht zu ihr: ‚Ich, Sennora, Eur Geliebter, bin der Sohn des vielgelobten, großen, schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa.’
Mein Großvater sagte: ‚Wenn du eine Nichtjüdin heiratest, wird immer dieses Thema aufkommen. Wenn man streitet, wirst du plötzlich der Jude sein!’ Ich hielt das für Unsinn, aber ich liebte den Großvater sehr, also widersprach ich ihm nicht, und als ich älter war, verstand ich sehr genau, was er gesagt hatte.
Meine Frau lernte ich als 14jähriger auf einer Geburtstagspartie kennen. Damals waren meine Freunde größtenteils jüdische Kommunistenkinder, die vielleicht nicht mehr Kommunisten und noch nicht wieder Juden waren. Franzi war gerade 12 Jahre alt, die Nichte von Ernst Fischer, der ja bis 1951 ein Freund der Familie war, und sie verehrte mich sofort. Wir fuhren nach unserer ersten Begegnung auf einen Schikurs zusammen, sahen uns dann aber eher zufällig höchstens einmal im Jahr.
Ich war in der Klasse der einzige Jude. Wir wohnten in Mauer, und ich ging in Wien im 1. Bezirk in die Oberstufe der Stubenbastei [Anm. Gymnasium]. In den fünfziger Jahren begann man in Amerika schwarze Kinder in die Schulen zu integrieren, in die bisher nur Weiße gingen. Da waren große Aufregungen, besonders in Little Rock in Arkansas, und schwarze Kinder wurden verprügelt. Wir hatten einen Biologieprofessor in der Schule, er war Kriegsinvalide, und der sagte, was sich in Amerika an Rassismus abspiele sei furchtbar, so etwas wäre in Österreich nie möglich. Und ich sagte: ‚Aber Herr Professor, es sind doch erst 12 Jahre her, dass in Österreich jüdische Kinder aus den Schulen hinausgeschmissen wurden.’ Daraufhin sagte er, ich würde an Verfolgungswahn leiden, so etwas hätte es in Österreich nie gegeben. Ein Mann, der im Krieg war und sehr wohl wusste, was passiert war, nicht hatte wegschauen können, log einfach.
Oder wenn ich auf Schikurs mit der Klasse fuhr, erzählten Lehrer von ihrer herrlichen Kriegszeit, und ich wusste sehr genau, dass ich auf der anderen Seite stehe. Ich hatte wenig Kontakt zu meinen Mitschülern und glaubte immer, das läge daran, dass ich sofort nach der Schule nach Hause nach Mauer fuhr, daher wenige Berührungspunkte mit den anderen Kindern hatte.
Anlässlich des 25sten Matura-Jubiläums machte ich einen Schulkollegen ausfindig, der inzwischen in Berlin lebt. Er war von sudetendeutschem Adel, und nach der Maturafeier übernachtete er bei meiner Frau und mir. In der Früh beim Frühstück sagte ich:
‚Weißt du, ich war ja nie in die Klasse integriert, weil ich in Mauer gewohnt hab und alle anderen Kinder im 1. und 3. Bezirk.’ Und er sagte:
‚Das kann doch nicht dein Ernst sein!’
‚Na sicher, wieso nicht?’
‚Lebst du hinterm Mond?’ Und dann erzählte er, dass alle wussten, dass ich ein jüdisches Kind war, und die anderen Kinder waren zum Beispiel Kinder eines Nazianwaltes, eines Ariseurs usw. ‚Deswegen hast du nie dazugehört!’
Es dauerte also 25 Jahre, bis ich drauf kam, warum ich nicht dazugehörte. Das war ein perfekter Verdrängungsmechanismus! Der Antisemitismus, den ich von meinen Mitschülern erlebte, war in Österreich zu dieser Zeit völlig normal, und ich glaube, er hat nie aufgehört, obwohl meine Kinder behaupten, dass sie in der Schule keine antisemitischen Erfahrungen gemacht haben.
Als ich 12 Jahre alt war, kam mein mütterlicher Großvater aus London zu Besuch nach Österreich, verbrachte den Sommer mit uns auf einem Bauernhof in Tirol und fragte mich:
‚Kannst du dir vorstellen, eine Nichtjüdin zu heiraten?’ Ich sagte: ‚Selbstverständlich, es sind doch alle Menschen gleich, ich mache keinen Unterschied.’
Und da sagte er: ‚Dort in der Bücherstellage sind Gedichte von Heine, gib sie mir!’
Ich brachte sie ihm und er suchte das Gedicht von der Donna Klara heraus, die mit dem Heiß geliebten Ritter zusammen ist, und sie sagt ständig etwas über die gottverdammten Juden und darauf sagt er nach der gemeinsamen Liebesnacht zu ihr: ‚Ich, Sennora, Eur Geliebter, bin der Sohn des vielgelobten, großen, schriftgelehrten Rabbi Israel von Saragossa.’
Mein Großvater sagte: ‚Wenn du eine Nichtjüdin heiratest, wird immer dieses Thema aufkommen. Wenn man streitet, wirst du plötzlich der Jude sein!’ Ich hielt das für Unsinn, aber ich liebte den Großvater sehr, also widersprach ich ihm nicht, und als ich älter war, verstand ich sehr genau, was er gesagt hatte.
Meine Frau lernte ich als 14jähriger auf einer Geburtstagspartie kennen. Damals waren meine Freunde größtenteils jüdische Kommunistenkinder, die vielleicht nicht mehr Kommunisten und noch nicht wieder Juden waren. Franzi war gerade 12 Jahre alt, die Nichte von Ernst Fischer, der ja bis 1951 ein Freund der Familie war, und sie verehrte mich sofort. Wir fuhren nach unserer ersten Begegnung auf einen Schikurs zusammen, sahen uns dann aber eher zufällig höchstens einmal im Jahr.
Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass wir eine jüdische Familie sind, aber nicht religiös. Das hatte zur Folge, dass mein Bruder und ich für die jüdische Gesellschaft nicht jüdisch waren und nicht dazu gehörten, aber jüdisch genug waren für die Antisemiten. Das Judentum für uns war eigentlich nur negativ beladen, denn über den Holocaust wurde sehr viel in der Familie gesprochen, darüber, dass viele Verwandte ermordet wurden. Wir hatten auch Verwandte und Bekannte in England, die nach Palästina gegangen waren, um für den Staat Israel zu kämpfen, und manche verloren dabei ihr Leben. Mit Israel waren meine Eltern immer solidarisch. Mein Vater verleugnete nie seine jüdische Herkunft, seine Zugehörigkeit zum jüdischen Volk, wohl aber die Religion - bis zu seinem Tode. Als kleiner Junge sagte ich immer: ‚Wir sind keine Juden, denn wir glauben nicht an Gott, aber mein Großvater ist Jude, denn der geht immer in die Synagoge in der Abbey Road.’ Dass auch ich jüdisch bin, war mir in den ersten Tagen in Wien noch nicht bewusst, aber es wurde mir dann schnell bewusst gemacht: Ich spielte oft mit einem Buben auf der Straße vor dem Haus. Als wir einmal zu streiten begannen, kam ihm seine Großmutter zu Hilfe und sagte zu mir: ‘Geh ham, du Jud’. Das war das erste Zusammentreffen mit der Tatsache, dass ich Jude bin, dass ich anscheinend etwas anderes bin als die anderen. Als ich das zu Hause meinem Vater erzählte, sagte er: ‚Wenn dir das noch einmal jemand sagt, dann verprügel ihn.’ Und ich sagte: ‚Aber wenn er größer und stärker ist als ich?’ ‚Dann verprügelst du ihn trotzdem’, sagte mein Vater. Und genau so praktizierte ich das dann.
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After WW2
See text in interview
Am 29. April 1946 kamen wir nach Wien und am 2. Mai gingen wir bereits in die Schule. Wir wurden zur Volksschule gebracht, und es wurde uns gezeigt, wie wir nach Hause zu gehen haben. Wir sprachen kein Wort Deutsch, ich ging in die zweite Volksschulklasse. Eine Lehrerin konnte etwas englisch. Sie war aber Lehrerin in der Mädchenklasse, und darum wurde ich in die Mädchenklasse versetzt. Man gab noch zwei andere Buben dazu, damit ich nicht so einsam war unter den vielen Mädchen. Am Nachmittag kam immer eine Volksschullehrerin zu uns nach Hause, die nicht unterrichten durfte, weil sie Mitglied der Nazipartei gewesen. Sie unterrichtete uns in deutscher Sprache. Bis zum Sommer waren wir praktisch perfekt in der deutschen Sprache, und mein Bruder kam im Herbst schon ins Gymnasium.
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After WW2
See text in interview
Mein Vater fuhr 1945 als Kriegskorrespondent ins zerstörte Wien, beschlagnahmte als englischer Besatzungsoffizier die arisierte Villa seines Schwiegervaters, und wir kamen mit unserer Mutter 1946 nach Wien in das großväterliche Haus, das Haus, in dem meine Mutter aufgewachsen war. Verwandte des Ariseurs, er hieß Stockhammer, wohnten mit uns im Haus bis zur Rückstellungsverhandlung im Jahre 1947.
Ich weiß nicht, wann in meinem Vater die Absicht reifte, nach Wien zurückzugehen. Irgendwann war er der Meinung, dass man die Heimat aufbauen müsse, und dass er dazu vonnöten sei. Mein Bruder und ich hatten zu Wien und zu Österreich überhaupt keine Beziehung. Wir sprachen nur Englisch, die Eltern hatten, außer mit ihren Eltern, in England nicht Deutsch gesprochen. Sie wollten auch nicht Deutsch sprechen, sie wollten ‚Englisch’ sein.
Im Jahre 1945 erlebte mein Vater den Neuanfang der KPÖ, und er hatte viele kommunistische Freunde, lernte Literaten kennen, zum Beispiel Hans Weigel [17], der damals schon in Wien war. Zunächst arbeitete er als Korrespondent für den ‚Daily Express’ und dann auch für die Londoner ‚Times’. Später schrieb er für die Zeitung „Neues Österreich“, beteiligt daran waren die SPÖ [Sozialdemokratische Partei], ÖVP [Österreichische Volkspartei] und KPÖ [Kommunistische Partei Österreichs].
Mein Vater erkrankte sehr früh an Multiple Sklerose. Als ich zwölf Jahre alt war, war er 38 Jahre alt und bekam einen Rollstuhl. Er hatte ab 1945 in Wien die Spitzen der Kommunistischen Partei um sich geschart, das waren viele Juden, die behaupteten, keine Juden zu sein, so ähnlich wie es auch in meinem Elternhaus war. Er war nicht mehr imstande, seinen Beruf als Journalist auszuüben und musste - er hatte sich ja bereits als 16jähriger geweigert Kapitalist zu werden - die rückgestellte Firma seines Vaters nun doch übernehmen, die zu dieser Zeit fast am Boden lag. Er begann, mit dem Rollstuhl, in die Hochschule für Welthandel zu fahren, dort die Basis für Handelswissenschaften zu erlernen und beendete die Hochschule mit der 1. Staatsprüfung. Er baute den Betrieb seines Vaters wieder auf und machte ihn zu einem führenden Weltklassebetrieb, der Sportartikel und Schibindungen erzeugte. Mein Vater war nun Industrieller, hatte wahrscheinlich mehr Geld zur Verfügung als seine Freunde und dadurch, dass er physisch stark gehandicapt war, fanden die gesellschaftlichen Treffen immer im Haus meiner Eltern statt.
Ich weiß nicht, wann in meinem Vater die Absicht reifte, nach Wien zurückzugehen. Irgendwann war er der Meinung, dass man die Heimat aufbauen müsse, und dass er dazu vonnöten sei. Mein Bruder und ich hatten zu Wien und zu Österreich überhaupt keine Beziehung. Wir sprachen nur Englisch, die Eltern hatten, außer mit ihren Eltern, in England nicht Deutsch gesprochen. Sie wollten auch nicht Deutsch sprechen, sie wollten ‚Englisch’ sein.
Im Jahre 1945 erlebte mein Vater den Neuanfang der KPÖ, und er hatte viele kommunistische Freunde, lernte Literaten kennen, zum Beispiel Hans Weigel [17], der damals schon in Wien war. Zunächst arbeitete er als Korrespondent für den ‚Daily Express’ und dann auch für die Londoner ‚Times’. Später schrieb er für die Zeitung „Neues Österreich“, beteiligt daran waren die SPÖ [Sozialdemokratische Partei], ÖVP [Österreichische Volkspartei] und KPÖ [Kommunistische Partei Österreichs].
Mein Vater erkrankte sehr früh an Multiple Sklerose. Als ich zwölf Jahre alt war, war er 38 Jahre alt und bekam einen Rollstuhl. Er hatte ab 1945 in Wien die Spitzen der Kommunistischen Partei um sich geschart, das waren viele Juden, die behaupteten, keine Juden zu sein, so ähnlich wie es auch in meinem Elternhaus war. Er war nicht mehr imstande, seinen Beruf als Journalist auszuüben und musste - er hatte sich ja bereits als 16jähriger geweigert Kapitalist zu werden - die rückgestellte Firma seines Vaters nun doch übernehmen, die zu dieser Zeit fast am Boden lag. Er begann, mit dem Rollstuhl, in die Hochschule für Welthandel zu fahren, dort die Basis für Handelswissenschaften zu erlernen und beendete die Hochschule mit der 1. Staatsprüfung. Er baute den Betrieb seines Vaters wieder auf und machte ihn zu einem führenden Weltklassebetrieb, der Sportartikel und Schibindungen erzeugte. Mein Vater war nun Industrieller, hatte wahrscheinlich mehr Geld zur Verfügung als seine Freunde und dadurch, dass er physisch stark gehandicapt war, fanden die gesellschaftlichen Treffen immer im Haus meiner Eltern statt.
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After WW2
See text in interview
Mein Vater fuhr 1945 als Kriegskorrespondent ins zerstörte Wien, beschlagnahmte als englischer Besatzungsoffizier die arisierte Villa seines Schwiegervaters, und wir kamen mit unserer Mutter 1946 nach Wien in das großväterliche Haus, das Haus, in dem meine Mutter aufgewachsen war. Verwandte des Ariseurs, er hieß Stockhammer, wohnten mit uns im Haus bis zur Rückstellungsverhandlung im Jahre 1947.
Austria
Als Mitarbeiter der sowjetischen Abteilung des britischen Informationsministeriums wurde mein Vater 1944 nach Moskau geschickt, um in London über die politische Lage zu berichten, denn die Engländer hatten beschlossen, gemeinsam mit der Sowjetunion, Krieg gegen die Deutschen zu führen. Details weiß ich nicht sehr viele über diese Zeit, aber ich weiß, dass er in Moskau verschiedene österreichische Kommunisten kennen lernte, so auch Ernst Fischer [16], dessen Nichte ich dann viele Jahre später heiratete.
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During WW2
See text in interview
Im Jahre 1940 marschierten die Deutschen in Paris ein, und meine Eltern waren überzeugt, dass sie früher oder später auch England erobern würden. Ein Freund, ein amerikanischer Journalist, der in London gelebt hatte und nach Amerika zurückgegangen war, schickte ihnen ein Telegramm, in dem stand: ‚Schickt uns die Kinder, wir werden uns um sie kümmern!’
Während dem Krieg
Die Eltern waren der Ansicht, wenn sie draufgehen, sollen wenigstens die Kinder überleben, denn mein Vater war sicher, als Journalist, der auch über Österreich berichtete, auf der ‚Schwarzen Liste’ der Gestapo zu stehen. Meine Mutter fand daraufhin ein junges Mädchen, die nach Amerika fuhr um ihren Freund, einen Amerikaner, zu heiraten. Sie beteiligte sich an den Reisekosten dieses Mädchens unter der Bedingung, dass sie uns nach Amerika mitnimmt und auf uns aufpasst. In Glasgow wurden wir dieser jungen Frau übergeben. Nach einigen Wochen erhielten meine Eltern einen Brief von vollkommen fremden Leuten, in dem sie schrieben, wie sie sich freuten, uns aufnehmen zu dürfen. Es stellte sich heraus, dass dieser Journalist dasselbe Telegramm an 16 verschiedene Freunde in London geschickt hatte, die alle ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten, und so musste er die vielen Kinder in der Bekanntschaft verteilen. Ich war zu dieser Zeit noch keine zwei Jahre, mein Bruder war viereinhalb Jahre alt. Wir kamen zu einem sehr reichen Ehepaar nach Scarsdale, nahe New York. Der Pflegevater, ein Verleger, und seine Frau hatten drei erwachsene Kinder. Der Sohn war, glaube ich, schon in der Armee oder wurde 1941 in die Armee eingezogen, die Töchter studierten bereits. Ich war ein dickes, lustiges Baby und alle freuten sich über mich. Mein Bruder war sehr betroffen durch die Trennung von den Eltern, und daher wahrscheinlich kein so freundliches Kind. Er ist auch heute noch davon überzeugt, dass ich sehr vorgezogen wurde, aber wir lebten beide dort wirklich in Saus und Braus; im Sommer fuhren wir zum Beispiel immer nach Vermont, wo die Familie ein Ferienhaus mit einem ziemlich großen Gelände und einem Teich hatte. Es war wunderschön!
Mitten im Krieg, im Jahre 1943, kam ein Freund meiner Eltern, auch ein Verleger, beruflich nach Amerika. Meine Eltern hatten ihn gebeten uns zu besuchen, und er kam nach London mit der Mitteilung zurück: Den Kindern geht es sehr gut, sie sind bei Millionären, ihr werdet ihnen nie das bieten können, was die ihnen bieten, und es wäre das Gescheiteste, die Kinder überhaupt dort zu lassen und Neue zu machen. Daraufhin verkaufte meine Mutter alles Wertvolle, das waren wenige Schmuckstücke, die sie als Erinnerung an ihre Mutter besaß und ließ uns nach England zurückkommen. Ich war nun viereinhalb Jahre alt, und ich erinnere mich, wie wir auf das Schiff gebracht wurden. Wir gingen in Philadelphia auf ein portugiesisches Schiff, denn Portugal war ein neutrales Land. Auf dem Schiff waren viele, wahrscheinlich hauptsächlich jüdische, Kinder. Auch die 13jährige Tochter unseres Hausarztes und Freundes meiner Eltern, der geholfen hatte, mich auf die Welt zu bringen, die ein Jahr in Amerika gewesen war, war Passagierin, und sie passte nun auf uns auf. Ich weiß aus Erzählungen meines Bruders, dass irgendwann ein deutsches U-Boot auftauchte, die Besatzung auf das Schiff kam, und die Kinder versteckt wurden. Im April 1943 kamen wir in Lissabon an, wurden dort von einem Kollegen meines Vaters abgeholt, und nach zwei oder drei Tagen in Lissabon flogen wir mit einem Flugzeug nach Schottland. Von dort fuhren wir mit dem Zug nach London zu unseren Eltern.
Während dem Krieg
Die Eltern waren der Ansicht, wenn sie draufgehen, sollen wenigstens die Kinder überleben, denn mein Vater war sicher, als Journalist, der auch über Österreich berichtete, auf der ‚Schwarzen Liste’ der Gestapo zu stehen. Meine Mutter fand daraufhin ein junges Mädchen, die nach Amerika fuhr um ihren Freund, einen Amerikaner, zu heiraten. Sie beteiligte sich an den Reisekosten dieses Mädchens unter der Bedingung, dass sie uns nach Amerika mitnimmt und auf uns aufpasst. In Glasgow wurden wir dieser jungen Frau übergeben. Nach einigen Wochen erhielten meine Eltern einen Brief von vollkommen fremden Leuten, in dem sie schrieben, wie sie sich freuten, uns aufnehmen zu dürfen. Es stellte sich heraus, dass dieser Journalist dasselbe Telegramm an 16 verschiedene Freunde in London geschickt hatte, die alle ihre Kinder in Sicherheit bringen wollten, und so musste er die vielen Kinder in der Bekanntschaft verteilen. Ich war zu dieser Zeit noch keine zwei Jahre, mein Bruder war viereinhalb Jahre alt. Wir kamen zu einem sehr reichen Ehepaar nach Scarsdale, nahe New York. Der Pflegevater, ein Verleger, und seine Frau hatten drei erwachsene Kinder. Der Sohn war, glaube ich, schon in der Armee oder wurde 1941 in die Armee eingezogen, die Töchter studierten bereits. Ich war ein dickes, lustiges Baby und alle freuten sich über mich. Mein Bruder war sehr betroffen durch die Trennung von den Eltern, und daher wahrscheinlich kein so freundliches Kind. Er ist auch heute noch davon überzeugt, dass ich sehr vorgezogen wurde, aber wir lebten beide dort wirklich in Saus und Braus; im Sommer fuhren wir zum Beispiel immer nach Vermont, wo die Familie ein Ferienhaus mit einem ziemlich großen Gelände und einem Teich hatte. Es war wunderschön!
Mitten im Krieg, im Jahre 1943, kam ein Freund meiner Eltern, auch ein Verleger, beruflich nach Amerika. Meine Eltern hatten ihn gebeten uns zu besuchen, und er kam nach London mit der Mitteilung zurück: Den Kindern geht es sehr gut, sie sind bei Millionären, ihr werdet ihnen nie das bieten können, was die ihnen bieten, und es wäre das Gescheiteste, die Kinder überhaupt dort zu lassen und Neue zu machen. Daraufhin verkaufte meine Mutter alles Wertvolle, das waren wenige Schmuckstücke, die sie als Erinnerung an ihre Mutter besaß und ließ uns nach England zurückkommen. Ich war nun viereinhalb Jahre alt, und ich erinnere mich, wie wir auf das Schiff gebracht wurden. Wir gingen in Philadelphia auf ein portugiesisches Schiff, denn Portugal war ein neutrales Land. Auf dem Schiff waren viele, wahrscheinlich hauptsächlich jüdische, Kinder. Auch die 13jährige Tochter unseres Hausarztes und Freundes meiner Eltern, der geholfen hatte, mich auf die Welt zu bringen, die ein Jahr in Amerika gewesen war, war Passagierin, und sie passte nun auf uns auf. Ich weiß aus Erzählungen meines Bruders, dass irgendwann ein deutsches U-Boot auftauchte, die Besatzung auf das Schiff kam, und die Kinder versteckt wurden. Im April 1943 kamen wir in Lissabon an, wurden dort von einem Kollegen meines Vaters abgeholt, und nach zwei oder drei Tagen in Lissabon flogen wir mit einem Flugzeug nach Schottland. Von dort fuhren wir mit dem Zug nach London zu unseren Eltern.
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During WW2
See text in interview
Nachdem meine Eltern fünf Jahre in England gelebt hatten, erhielten sie 1938 die englische Staatsbürgerschaft. Im März 1938, die Deutschen waren schon in Österreich, wurde mein Vater vom österreichischen Gesandten in London in sein Büro eingeladen und der sagte: ‚Smolka, ich kann nicht sehr viel für Sie tun, aber ich werde Ihnen einen neuen Pass auszustellen, der zehn Jahre gültig ist. Bis dahin wird der Spuk vorbei sein.’ Durch den Besitz der englischen Staatsbürgerschaft waren meine Eltern in der glücklichen Lage, für ihre Eltern und ihre Geschwister zu garantieren und sie so nach England zu holen. Am Tag vor dem Anschluss 1938 [15] rief mein Vater seinen Vater in Wien an und sagte: ‚Es wird gefährlich, lasst alles stehen und liegen, setzt euch in die Pressburger Elektrische, und ich hole euch in Bratislava ab und bringe euch nach London. Der Großvater reagierte wie viele andere und sagte: ‚Unsinn, was soll uns schon geschehen!’ Aber ich glaube, sie kamen dann doch im Sommer oder im Herbst 1938 nach England und konnten zum Glück noch sehr viel mitnehmen.
Meinem Vater war bereits sehr früh klar, Hitler hatte 1933 in Deutschland die Wahlen gewonnen, dass für ihn, als jungen Journalisten und Juden, der deutsche Markt verschlossen sein würde. Die Redaktion Wiener Zeitung ‚Der Tag’ gab meinem Vater noch ein Schreiben mit der Bitte mit nach England, ihm bei seiner journalistischen Tätigkeit behilflich zu sein. Wenige Wochen später übersiedelten meine Eltern nach England.
Durch sein Studium in England wusste er von einem Untermietzimmer, wo er nach der Ankunft in London mit meiner Mutter wohnen konnte.
Mein Vater arbeitete dann fünf Jahre in London als Korrespondent der ‚Neuen Freien Presse’. Später wurde er auch Korrespondent des ‚Prager Tagblattes’.
Durch sein Studium in England wusste er von einem Untermietzimmer, wo er nach der Ankunft in London mit meiner Mutter wohnen konnte.
Mein Vater arbeitete dann fünf Jahre in London als Korrespondent der ‚Neuen Freien Presse’. Später wurde er auch Korrespondent des ‚Prager Tagblattes’.
Meine Eltern heirateten 20-jährig, am 12. April 1933, im Rathaus auf dem Standesamt. Mein Vater war ein bewusster Jude, aber als Linker war er der Meinung, Religionen bringen die Menschen nur auseinander, und im Sozialismus werden einmal alle Menschen gleichberechtigt sein. Er trat aus der Kultusgemeinde aus, denn zu dem Zeitpunkt konnte man standesamtlich nur heiraten, wenn man keiner Religionsgemeinschaft angehörte. Ich glaube aber, meine Mutter blieb Mitglied der Kultusgemeinde. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Österreich sagte mein Großvater mütterlicherseits zu meinem Vater, es sei jetzt nicht die Zeit, sich von seinen Leuten zu distanzieren und bat ihn, dass er ihm die Vollmacht geben möge, ihn wieder in die Kultusgemeinde einzuschreiben. Meinem Vater war das egal und er sagte: ‚Mach was du willst!’ Nach dem Krieg, als meine Eltern wieder in Wien waren, wollte die Kultusgemeinde von meinem Vater die Kultussteuern für die Jahre seit 1938. Mein Vater sagte, er sei doch 1933 ausgetreten, und sie sagten, das stimme, aber er sei 1938 wieder eingetreten. Mein Vater wollte einen Vergleich, aber sie waren nicht bereit dazu. So zahlte er und trat danach, auch im Namen seiner Frau und Kinder, aus der Kultusgemeinde aus. Und so waren wir bis auf weiteres ohne religiöses Bekenntnis.
Sylvia Segenreich
Als ich vor sechs Jahren in Czernowitz war, habe ich alles wieder gesehen, unsere Häuser und unsere Fabrik und die Eishallen. Es schaut schrecklich aus, die Häuser sehen schrecklich aus. Ich besitze die Dokumente über das ganze Vermögen, und ich bin dort zu einem Rechtsanwalt gegangen. Er hat mich gefragt, warum ich das alles noch besitze. Ich habe ihm gesagt, dass meine Eltern die Dokumente aufgehoben haben. Ich dachte, dass er eine Idee hat, was ich damit machen kann. Er hat gesagt, ich soll die Sachen für meine Enkeln oder Urenkeln aufheben, damit die vielleicht mal was davon haben. Kann man nichts machen, so ist das Leben!
Mein Sohn will, dass ich nach Israel komme, um dort zu leben und in seiner Nähe zu sein, aber solange ich mir alles allein machen kann, lebe ich in meiner Wohnung, in der ich so viele Jahrzehnte bin. Ich wünsche mir, nur solange zu leben, wie ich fit bin. Werden wir sehen!
Ich kann mir schon vorstellen, in Israel zu leben. Ich habe als Kind Hebräisch lesen gelernt, ich verstehe nicht alles, aber viel, aber in Israel würde ich auch mit Rumänisch, Deutsch, Jiddisch, Russisch und Ukrainisch durchkommen. Wenn ich in Israel in den Supermarkt einkaufen gehe, frage ich: wer spricht Rumänisch, wer spricht Russisch, wer spricht… und wenn ich etwas wissen will, dann gehe ich zu demjenigen und frage. Mein Mann und ich sind immer nach Israel gefahren, da waren die Kinder noch ganz klein. Fast die ganze Familie hat dort gelebt, denn die Geschwister meines Mannes sind nach dem Krieg nach Israel gegangen. Aber jetzt lebt von denen niemand mehr, nur die Kinder und die Enkelkinder sind da.
Natürlich habe ich auch Angst um meine Familie in Israel. Nur hilft mir die Angst? Zu meinem Sohn hat irgendjemand gesagt: ‚Sie können doch auch hier, in Wien, sehr schön leben.’ Da hat er geantwortet: ‚Meine Heimat ist Israel.’ Ich hatte nie die Absicht, Österreich wieder zu verlassen. Hier bin ich selbstständig, und ich bin bei mir zu Hause. Der Antisemitismus in Österreich war immer da, und er ist da, und er wird immer da sein. Ich wohne hier im Haus schon über 50 Jahre. Die Leute, die damals hier gewohnt haben, sind nicht mehr da. Aber deren Kinder. Sie sind nett, und man grüßt sich.
Ich hoffe schon so viele Jahrzehnte auf Frieden in Israel. Was kann man machen? Wir können nur drüber reden, machen können wir eh nichts.
Ich kann mir schon vorstellen, in Israel zu leben. Ich habe als Kind Hebräisch lesen gelernt, ich verstehe nicht alles, aber viel, aber in Israel würde ich auch mit Rumänisch, Deutsch, Jiddisch, Russisch und Ukrainisch durchkommen. Wenn ich in Israel in den Supermarkt einkaufen gehe, frage ich: wer spricht Rumänisch, wer spricht Russisch, wer spricht… und wenn ich etwas wissen will, dann gehe ich zu demjenigen und frage. Mein Mann und ich sind immer nach Israel gefahren, da waren die Kinder noch ganz klein. Fast die ganze Familie hat dort gelebt, denn die Geschwister meines Mannes sind nach dem Krieg nach Israel gegangen. Aber jetzt lebt von denen niemand mehr, nur die Kinder und die Enkelkinder sind da.
Natürlich habe ich auch Angst um meine Familie in Israel. Nur hilft mir die Angst? Zu meinem Sohn hat irgendjemand gesagt: ‚Sie können doch auch hier, in Wien, sehr schön leben.’ Da hat er geantwortet: ‚Meine Heimat ist Israel.’ Ich hatte nie die Absicht, Österreich wieder zu verlassen. Hier bin ich selbstständig, und ich bin bei mir zu Hause. Der Antisemitismus in Österreich war immer da, und er ist da, und er wird immer da sein. Ich wohne hier im Haus schon über 50 Jahre. Die Leute, die damals hier gewohnt haben, sind nicht mehr da. Aber deren Kinder. Sie sind nett, und man grüßt sich.
Ich hoffe schon so viele Jahrzehnte auf Frieden in Israel. Was kann man machen? Wir können nur drüber reden, machen können wir eh nichts.
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After WW2
See text in interview
Eigentlich ist Wien für mich ein zu Hause geworden, ich wohne doch seit 1947 schon hier. Aber ich habe fast nur jüdische Freunde. Leider sind sehr viele meiner Bekannten und Freunde gestorben. Als wir jünger waren, sind wir immer viel ausgegangen. Im Krieg hat man das doch nicht können. Jeden Samstagabend waren mein Mann und ich mit Freunden im Theater. Im Theater in der Josefstadt, im Burgtheater und im Operettentheater. Jeden Samstag! Und danach sind wir noch in eine Bar gegangen und haben getanzt. Wir waren jung und hatten Nachholbedarf. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, aber meine Jugend war katastrophal. Na ja, so ist das Leben eben.
Austria
Eigentlich ist Wien für mich ein zu Hause geworden, ich wohne doch seit 1947 schon hier. Aber ich habe fast nur jüdische Freunde. Leider sind sehr viele meiner Bekannten und Freunde gestorben. Als wir jünger waren, sind wir immer viel ausgegangen. Im Krieg hat man das doch nicht können. Jeden Samstagabend waren mein Mann und ich mit Freunden im Theater. Im Theater in der Josefstadt, im Burgtheater und im Operettentheater. Jeden Samstag! Und danach sind wir noch in eine Bar gegangen und haben getanzt. Wir waren jung und hatten Nachholbedarf. Ich hatte eine wunderschöne Kindheit, aber meine Jugend war katastrophal. Na ja, so ist das Leben eben.
Mit meinen Freundinnen treffe ich mich fast jeden Samstag. Da sitzen wir im Kaffeehaus Landmann oder im Lehmann und unterhalten uns, oder ich lade sie manchmal auch zu mir ein. Wir fahren auch zum Heurigen, aber selten. Auch mit meiner Schwester treffe ich mich.
Mit meinen Freundinnen treffe ich mich fast jeden Samstag. Da sitzen wir im Kaffeehaus Landmann oder im Lehmann und unterhalten uns, oder ich lade sie manchmal auch zu mir ein. Wir fahren auch zum Heurigen, aber selten. Auch mit meiner Schwester treffe ich mich.
Ich habe keinen Platz mehr im Tempel, weil ich die Feiertage entweder bei meinem Sohn in Israel oder bei meiner Tochter in Paris verbringe. Gott sei Dank, ich hab ein gutes Verhältnis zu meinen Kindern. Zu Pessach [16] bin ich in Israel bei meinem Sohn. Und zu Rosch Haschana [17] und Jom Kippur [18] bin ich bei meiner Tochter in Paris. Das ist schon Jahre so, seitdem ich allein bin. Den ganzen August ist mein Sohn in Österreich, er ist nicht die ganze Zeit in Wien, sie fahren auch ein bisschen mit den Kindern herum. Und meine Tochter kommt auch, so oft sie kann. Seitdem ich allein bin, ruft sie mich tagtäglich an.
Sie lebt traditionell und mein Sohn in Israel sowieso. Noch heute, wenn ich nach Paris fahre, nehme ich gefillte Fisch und verschiedene andere jüdische Gerichte mit. Ich bereite das Essen zu Hause vor, und dort koche ich es. Nach Israel nehme ich auch das vorbereitete Essen mit.
Sie lebt traditionell und mein Sohn in Israel sowieso. Noch heute, wenn ich nach Paris fahre, nehme ich gefillte Fisch und verschiedene andere jüdische Gerichte mit. Ich bereite das Essen zu Hause vor, und dort koche ich es. Nach Israel nehme ich auch das vorbereitete Essen mit.
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