Ich bin zu Hause geblieben, als mein Mann abgeholt wurde. Ich war verheiratet, wir hatten keine Kinder, und ich habe keine Pension bekommen, denn damals gab es noch nicht die Pensionskonten. Der Geldbriefträger durfte das Geld nur an den Empfänger aushändigen, also nicht an die Frau oder Kinder, und da mein Mann nicht da war, hab ich kein Geld gekriegt. Da ich wusste, dass er in Dachau ist, habe ich nach Dachau geschrieben, dass ich eine Vollmacht brauche, weil ich kein Geld mehr habe und auch keines bekomme. Die Deutschen waren ja sehr gut organisiert, und ich bekam eine Vollmacht aus Dachau. Mit der bin ich auf die Post gegangen, um mir die Pension abzuholen, und ich habe sie bekommen - abzüglich Schutzhaftkosten.
- Traditions 11756
- Language spoken 3019
- Identity 7808
- Description of town 2440
- Education, school 8506
- Economics 8772
- Work 11672
- Love & romance 4929
- Leisure/Social life 4159
- Antisemitism 4822
-
Major events (political and historical)
4256
- Armenian genocide 2
- Doctor's Plot (1953) 178
- Soviet invasion of Poland 31
- Siege of Leningrad 86
- The Six Day War 4
- Yom Kippur War 2
- Ataturk's death 5
- Balkan Wars (1912-1913) 35
- First Soviet-Finnish War 37
- Occupation of Czechoslovakia 1938 83
- Invasion of France 9
- Molotov–Ribbentrop Pact 65
- Varlik Vergisi (Wealth Tax) 36
- First World War (1914-1918) 216
- Spanish flu (1918-1920) 14
- Latvian War of Independence (1918-1920) 4
- The Great Depression (1929-1933) 20
- Hitler comes to power (1933) 127
- 151 Hospital 1
- Fire of Thessaloniki (1917) 9
- Greek Civil War (1946-49) 12
- Thessaloniki International Trade Fair 5
- Annexation of Bukovina to Romania (1918) 7
- Annexation of Northern Bukovina to the Soviet Union (1940) 19
- The German invasion of Poland (1939) 94
- Kishinev Pogrom (1903) 7
- Romanian Annexation of Bessarabia (1918) 25
- Returning of the Hungarian rule in Transylvania (1940-1944) 43
- Soviet Occupation of Bessarabia (1940) 59
- Second Vienna Dictate 27
- Estonian war of independence 3
- Warsaw Uprising 2
- Soviet occupation of the Balitc states (1940) 147
- Austrian Civil War (1934) 9
- Anschluss (1938) 71
- Collapse of Habsburg empire 3
- Dollfuß Regime 3
- Emigration to Vienna before WWII 36
- Kolkhoz 131
- KuK - Königlich und Kaiserlich 40
- Mineriade 1
- Post War Allied occupation 7
- Waldheim affair 5
- Trianon Peace Treaty 12
- NEP 56
- Russian Revolution 351
- Ukrainian Famine 199
- The Great Terror 283
- Perestroika 233
- 22nd June 1941 468
- Molotov's radio speech 115
- Victory Day 147
- Stalin's death 365
- Khrushchev's speech at 20th Congress 148
- KGB 62
- NKVD 153
- German occupation of Hungary (18-19 March 1944) 45
- Józef Pilsudski (until 1935) 33
- 1956 revolution 84
- Prague Spring (1968) 73
- 1989 change of regime 174
- Gomulka campaign (1968) 81
-
Holocaust
9685
- Holocaust (in general) 2789
- Concentration camp / Work camp 1235
- Mass shooting operations 337
- Ghetto 1183
- Death / extermination camp 647
- Deportation 1063
- Forced labor 791
- Flight 1410
- Hiding 594
- Resistance 121
- 1941 evacuations 866
- Novemberpogrom / Kristallnacht 34
- Eleftherias Square 10
- Kasztner group 1
- Pogrom in Iasi and the Death Train 21
- Sammelwohnungen 9
- Strohmann system 11
- Struma ship 17
- Life under occupation 803
- Yellow star house 72
- Protected house 15
- Arrow Cross ("nyilasok") 42
- Danube bank shots 6
- Kindertransport 26
- Schutzpass / false papers 95
- Warsaw Ghetto Uprising (1943) 24
- Warsaw Uprising (1944) 23
- Helpers 521
- Righteous Gentiles 269
- Returning home 1090
- Holocaust compensation 112
- Restitution 109
- Property (loss of property) 595
- Loss of loved ones 1724
- Trauma 1029
- Talking about what happened 1807
- Liberation 558
- Military 3322
- Politics 2640
-
Communism
4468
- Life in the Soviet Union/under Communism (in general) 2592
- Anti-communist resistance in general 63
- Nationalization under Communism 221
- Illegal communist movements 98
- Systematic demolitions under communism 45
- Communist holidays 311
- Sentiments about the communist rule 930
- Collectivization 94
- Experiences with state police 349
- Prison/Forced labor under communist/socialist rule 449
- Lack or violation of human and citizen rights 483
- Life after the change of the regime (1989) 493
- Israel / Palestine 2190
- Zionism 847
- Jewish Organizations 1200
Displaying 21991 - 22020 of 50826 results
Louise Eva Papo
Der Türkische Tempel war, wie alle anderen Tempel in Wien, am 10. November 1938 niedergebrannt worden. Nur ein einziger blieb erhalten. Bevor sie ihn niedergebrannt haben, haben sie sich die Listen der Mitglieder geholt. Und die, die österreichische Staatsbürger waren, die haben sie abgeholt.
Am 10. November 1938 wurde mein Mann verhaftet. Das war die sogenannte ‚Kristallnacht’ [5]. 15 Tage lang hatte ich nicht gewusst, wo er war. Nach 15 Tagen kam ein Brief aus dem KZ Dachau [Deutschland]: ‚Ich bin gesund, es geht mir gut. Du darfst mir jeden Monat 15 Mark schicken und zweimal im Monat einen Brief mit 15 Zeilen.
Während des Holocaust bin ich mit meinem Mann nach Afrika gegangen. Das war 1944. Es ist eine sonderbare Geschichte.
Ich begann nach unserer Heirat Deutsch und Latein an der Wiener Universität zu studieren. Ich habe dann auch noch begonnen Englisch zu studieren, weil ich Dolmetscherin werden wollte.
Mein Mann war ein gescheiter und sehr fleißiger Mensch, und er hat das Studium geschafft. Er hatte ein Doktorat der Wiener Universität, und er hatte die Rabbinerprüfung vom Wiener Rabbinerseminar und noch eine zusätzliche Prüfung vom damaligen sephardischen Oberrabbiner von Jugoslawien. Er konnte sehr gut auswendig lernen! Er hatte aber nie eine moderne Sprache gelernt. Erst, als Hitler 1938 nach Österreich kam, begann er Englisch zu lernen - da habe ich ihn ein paar Monate lang unterrichtet. Die Mitschüler im Rabbinerseminar haben über meinen Mann gesagt: ‚Papo ist ein Antisemit. Er erlaubt uns nicht, Jiddisch zu sprechen. Wenn es nach ihm geht, müssten wir nur Deutsch sprechen.’ Mein Mann aber hat zu ihnen gesagt: ‚Ihr wollt Posten in Österreich oder in Deutschland haben, da müsst ihr deutsch sprechen können, jiddisch hilft euch da gar nicht.’ Nach dem Rabbinerstudium war er in Salzburg geblieben. Er wurde der Landesrabbiner von Salzburg, schon als junger Mann. Es wurde ihm aber dann zu langweilig und zu kompliziert in Salzburg. Er durfte nie mit einem Mädchen ausgehen, denn wenn er mit einem jüdischen Mädchen ausgegangen ist, dann wurde er gleich mit ihr verlobt. Daher ist er nach drei Jahren nach Wien zurückgekommen. Seine große Liebe war das Unterrichten - nicht nur seine große Liebe, auch seine große Begabung.
Der Vater meines Mannes hieß Michael Papo. Er war 1843 in Sarajewo geboren und ist 1918 in Wien gestorben. Er war 40 Jahre lang Rabbiner im Türkischen Tempel in Wien. Der Türkische Tempel hieß der Türkische Tempel, weil er seinerzeit von türkischen Juden gegründet wurde. Er befand sich in der Zirkusgasse, im 2. Bezirk. Er war der schönste Tempel von Wien, ganz im orientalischen Stil. Mein Mann ist ins Rabbinerseminar nach Salzburg gegangen. Doch nebenbei hat er auch an der Uni studiert: nicht Jus, sondern orientalische Sprachen - Hebräisch, Aramäisch, Syrisch, Arabisch, Latein und Griechisch. Zu Hause hatte er Ladino gesprochen, da seine Familie ursprünglich aus Spanien kam. Ladino war die Sprache der Juden aus Spanien und Portugal.
Ursprünglich hatte er an der Universität Jus inskribiert, doch dann kam ein alter Freund seines Vaters zu ihm und sagte, er solle doch besser auf ein anderes Studium umsatteln. Mein Mann hatte seinem Vater versprochen, er werde einen Beruf wählen, in dem er fromm sein kann und den Schabbat [4] und die Feiertage halten kann.
Während des 1.Weltkrieges hatte mein Mann eine Notmatura gemacht, damit er in die Armee eingezogen werden konnte. Mein Mann war ja ein 1898er Jahrgang, und damals sind die jungen Leute, die Mittelschüler, Studenten usw. in die Armee eingezogen worden. Bei der ersten Musterung war er zu schwach, aber bei der nächsten machte er schnell die Matura, und er wurde eingezogen. Er war in der Kärntner Gegend stationiert. Erst hatte er irgendeinen sehr unangenehmen Feldwebel. Mein Mann war ein zarter, schwacher Mensch, und der Feldwebel hat ihn so lange sekkiert bis er zusammengefallen ist. Dann hat ihn der Arzt in die Forstwirtschaft versetzt. Dort hat er den Rest des Krieges verbracht und ist dann nach Kriegsende nach Wien zurückgekommen.
Als ich geheiratet hatte, musste ich mein Leben wirklich ein wenig umstellen. Ich tat das aber alles sehr gern. Ich wurde religiöser und führte den Haushalt koscher. Das war ich bis dahin nicht gewohnt.
Mein Brautkleid habe ich mir selbst genäht. Es gab im 1. Bezirk eine Nähschule. Die wurde von einem Ehepaar geführt, die früher einen großen Maßsalon hatten. Wie sie dann älter wurden und der Mann nicht mehr so mitarbeiten konnte, haben sie den Salon in eine Nähschule umgewandelt. Sie hatten Schülerinnen, die zu Schneiderinnen ausgebildet wurden. Ich habe dort an den Nachmittagen gelernt. Es sind aber auch Damen der Gesellschaft mit ihren Stoffen gekommen, mit Abbildungen und Schnitten. Man hat genäht, und jeder Schritt wurde überwacht und erklärt. Ich habe mir mein Brautkleid dort genäht, und meine Mutti hat das Kleid, das sie zu meiner Hochzeit trug, auch dort genäht. Was aus den Leuten geworden ist, weiß ich nicht. Entweder sie sind rechtzeitig gestorben oder umgekommen unter Hitler. Sie waren doch auch Juden.
Mein Mann war 16 Jahre älter als ich. Als wir geheiratet haben, war er 35 Jahre und eine Woche, und zwei Wochen nach der Hochzeit war mein 19. Geburtstag. Ein so großer Altersunterschied kann gut gehen, aber es gibt da auch Schwierigkeiten, und alle waren dagegen: meine Eltern und meine Schwiegermutter. Aber wir haben uns durchgesetzt.
Für meine Schwiegermutter war das Problem, dass ich nicht aus einer frommen Familie kam, und ich war ihr zu hübsch:
‚Sie wird dir durchgehen’, sagte sie vor der Hochzeit zu meinem Mann. Meinen Eltern war er zu alt für mich.
‚Du wirst dein ganzes Leben ändern müssen. Nicht nur, weil er fromm ist und koscher leben will. Das ist nicht so wichtig, aber wenn du einen um soviel älteren Mann heiratest, kannst du nicht mehr mit deinen Jugendfreunden zusammen sein.’ So versuchten sie mich umzustimmen. Auch damals konnte man sich, so wie heute, scheiden lassen, aber das war ein allerletztes Mittel, wenn’s schon wirklich nicht mehr ging. Es war nicht so wie heute, dass sich jeder Zweite scheiden lässt. Meine Eltern haben also zu meinem zukünftigen Ehemann gesagt – ich war bei der Unterhaltung dabei – sie sind dagegen, aber man kann sich ja scheiden lassen’. Worauf mein Zukünftiger gesagt hat:
‚Eine Scheidung kommt für mich überhaupt nicht in Frage!’ Worauf meine Eltern sagten: ‚Um G’ttes Willen, wie kann man sein Kind einem Mann geben, der sagt, auch wenn es schief geht, lässt er sich nicht scheiden!’
Es ist nicht schief gegangen, wir haben uns nicht scheiden lassen. Ich war aber leider verhältnismäßig jung, 50 Jahre alt, als er gestorben ist.
Für meine Schwiegermutter war das Problem, dass ich nicht aus einer frommen Familie kam, und ich war ihr zu hübsch:
‚Sie wird dir durchgehen’, sagte sie vor der Hochzeit zu meinem Mann. Meinen Eltern war er zu alt für mich.
‚Du wirst dein ganzes Leben ändern müssen. Nicht nur, weil er fromm ist und koscher leben will. Das ist nicht so wichtig, aber wenn du einen um soviel älteren Mann heiratest, kannst du nicht mehr mit deinen Jugendfreunden zusammen sein.’ So versuchten sie mich umzustimmen. Auch damals konnte man sich, so wie heute, scheiden lassen, aber das war ein allerletztes Mittel, wenn’s schon wirklich nicht mehr ging. Es war nicht so wie heute, dass sich jeder Zweite scheiden lässt. Meine Eltern haben also zu meinem zukünftigen Ehemann gesagt – ich war bei der Unterhaltung dabei – sie sind dagegen, aber man kann sich ja scheiden lassen’. Worauf mein Zukünftiger gesagt hat:
‚Eine Scheidung kommt für mich überhaupt nicht in Frage!’ Worauf meine Eltern sagten: ‚Um G’ttes Willen, wie kann man sein Kind einem Mann geben, der sagt, auch wenn es schief geht, lässt er sich nicht scheiden!’
Es ist nicht schief gegangen, wir haben uns nicht scheiden lassen. Ich war aber leider verhältnismäßig jung, 50 Jahre alt, als er gestorben ist.
Das war aber nicht so wie in Afrika, dass in der A Klasse die intelligenten Schüler waren und in der B Klasse die Schüler, die weniger leicht gelernt haben, sondern die A Klasse war eine gemischte Klasse auch mit nichtjüdischen Mädchen, die B Klasse war eine Klasse mit nur jüdischen Mädchen aus frommen Familien, die am Samstag in die Schule kommen mussten - das war damals Gesetz. Sie kamen aber ohne Bücher und Hefte, da man am Samstag nichts tragen darf. Sie mussten in der Schule sitzen und zuhören. Da waren dann lauter Fächer, bei denen nichts an der Tafel geschrieben wurde und die Kinder nicht schreiben mussten - sie mussten nur zuhören. Mein späterer Mann war jahrelang Klassenvorstand der B Klasse. Ich war in einer A Klasse, weil ich aus keinem frommen Haus kam. Es wurde dasselbe unterrichtet, wie auf einem staatlichen Gymnasium. Die Prüfungen waren äquivalent zu den Prüfungen in anderen Schulen, man konnte nach der Schule auf die Uni gehen, wie aus einer öffentlichen Schule. Da die Schule im 2. Bezirk war, und da der 2. Bezirk vor Hitler fast jüdisch war, waren in unserer Schule vielleicht zehn Prozent nichtjüdische Mädchen. Auch die A Klasse wurde von mehreren jüdischen Lehrern und Lehrerinnen unterrichtet. An den christlichen Feiertagen hatten wir keinen Unterricht und an den jüdischen Feiertagen hatten wir auch keinen Unterricht. Nur am Samstag mussten auch die frommen Kinder in die Schule gehen. Wenn die Eltern das nicht erlaubt haben, dann mussten sie am Ende des Jahres eine Privatisten Prüfung in allen Gegenständen ablegen, um in die nächste Klasse aufzusteigen. Das letzte Jahr vor der Matura bin ich in eine andere Schule gegangen, und dadurch hatte ich Gelegenheit, ihn auch privat kennen zu lernen. Da war das keine reine Lehrer - Schülerin - Beziehung mehr. Als ich 18 war, haben wir uns inoffiziell verlobt, im Juli habe ich maturiert, und im Oktober haben wir geheiratet.
Mein Ehemann, Dr. Manfred Papo, jüdisch Menachem Ben Michael, wurde am 17. Oktober 1898 in Wien geboren. Ich habe ihn in der Schule, im 2. Bezirk, kennen gelernt, denn er war mein Religionslehrer. Er wurde unser Lehrer, da war ich 14 Jahre alt und in der 4. Klasse. Die Schule war keine jüdische Schule, sondern ein Privatgymnasium mit Öffentlichkeitsrecht. Es gab A und B Klassen. Das war aber nicht so wie in Afrika, dass in der A Klasse die intelligenten Schüler waren und in der B Klasse die Schüler, die weniger leicht gelernt haben, sondern die A Klasse war eine gemischte Klasse auch mit nichtjüdischen Mädchen, die B Klasse war eine Klasse mit nur jüdischen Mädchen aus frommen Familien, die am Samstag in die Schule kommen mussten - das war damals Gesetz.
Meine Volksschule war in einer kleinen Seitengasse der Heinestraße, der Holzhausergasse. Das war keine jüdische, sondern eine ganz gewöhnliche Volksschule. Als ich sechs Jahre alt war und gerade in die Schule ging, haben wir im Unterricht über Affen gesprochen, und da hieß es: ‘Der Affe hat eine fliehende Stirn und einen vorstehenden Unterkiefer.’ Und da ich doch den falschen Biss habe, hat ein Kind in der Klasse gesagt: ‘So wie die Louise!’ Und ich habe mir jahrelang eingeredet, dass ich schrecklich hässlich bin und dass ist aussehe wie ein Affe, und ich habe mich deshalb nie von der Seite fotografieren lassen.
Ich bin im 2. Bezirk, in der Fugbachgasse, geboren. Ich heiße Louise Eva. Ich glaube nicht, dass ich einen jüdischen Namen habe, aber Eva ist sowieso ein jüdischer Name, denn Eva ist auf Hebräisch Chava.
Bis meine Eltern vor dem Holocaust nach Prag geflüchtet sind, hat meine Mutter für ‚Lloyds agents’, eine große englische Versicherung in Wien, gearbeitet. In Prag konnte sie nicht mehr arbeiten, da sie nicht genug tschechisch konnte.
Mit 15 Jahren hat meine Mutter zu arbeiten begonnen. Da sie sehr wissbegierig war, ging sie nach der Arbeit in die Volkshochschule, und hat dort Englisch und Französisch gelernt. Sie wurde Fremdsprachenkorrespondentin und hat jahrelang, bis in die 1920er-Jahre bei einer Bank gearbeitet. In der Wirtschaftskrise sind die Banken zusammengebrochen und sie hat ihre Arbeit verloren.
Nach dem Tod meiner Großmutter hat er wieder geheiratet. Seine zweite Frau hieß Emma, mit ihr hatte er noch vier Kinder, also Halbgeschwister meiner Mutter. Die Halbgeschwister kannte ich sehr gut, und ich hatte sie auch sehr gern, aber leider erinnere ich mich nicht an alle Namen. Der jüngste hieß Heini. Dann gab es die Tante Hedwig - Hedi genannt - die später in England lebte. Sie ist im Jahr 1904 geboren und war mit einem Engländer namens Searle verheiratet. Den habe ich auch noch gekannt. Ich glaube, sie hatte ein Kind, das aber früh gestorben ist. Der jüngste Bruder hatte eine jüdische Emigrantin geheiratet. Sie sind gemeinsam nach Amerika ausgewandert. Eine Halbschwester meiner Mutter ist nur zehn Jahre älter als ich. Das letzte Mal habe ich sie zu ihrem 90. Geburtstag gesehen - sie lebt in England. Es gibt noch einen Onkel, der nach Amerika geflüchtet ist. Aber von dem habe ich schon ewig nichts gehört. Dem hab ich im Namen seines älteren Bruders, der in Wien war und der nicht mehr selber schreiben konnte, einen Brief geschrieben. Die Stiefmutter meiner Mutter hab ich nicht gut gekannt. Sie lebte als alte Dame im jüdischen Altersheim in der Seegasse und wurde 1942 nach Theresienstadt [heute: Tschechien] deportiert, wo sie dann gestorben ist.
Meine Mutter Flora ist am 6. Dezember 1888 in Wien geboren. Ihre Mutter, Esther Kunz, starb 1889 an Kindbettfieber. Der Großvater, Albert Kunz, war Tierpräparator, er hat Tiere ausgestopft. Genaueres weiß ich nicht.
Mein Vater hat ein Gymnasium besucht und die Matura gemacht. Dann kam er zum Studieren nach Wien. Er hatte ein Doktorat in Philosophie, Musik und Deutsch der Wiener Universität. Er arbeitete als Prokurist in einem Büro in Wien. Mehr weiß ich nicht, denn über Geschäftliches wurde zu Hause nicht gesprochen.
Meine Großeltern hießen Sigmund und Anna Fleischer, sie war eine geborene Bruckmann. Der Großvater wurde 1862 geboren, die Großmutter 1863. Der Großvater war Kommerzialrat und leitender Direktor einer Spiritusfabrik in Olmütz und einer Schokoladenfabrik in Liebau [tschechisch: Mesto Libava]. Ich habe mit meinen Eltern in Wien gewohnt, aber wir haben die Großeltern öfter besucht. Beide starben 1932 in Olmütz, die Großmutter im August, der Großvater im Dezember.
Mein Vater war schlank und wäre groß gewesen, aber durch den Buckel war er nicht groß. Wegen des Buckels wurde er auch im 1. Weltkrieg nicht eingezogen.
In den Ferien sind wir oft verreist. In Kritzdendorf hatten wir ein kleines Gärtchen mit einer Badehütte, in der man auch schlafen konnte. Da habe ich oben im Giebel geschlafen und die Eltern unten im Zimmer. Das Gärtchen war ganz winzig. Es war viermal zwei Meter groß, und da war Platz für einen Tisch, eine Bank, einen Sessel und ein Liegebett. Das waren sehr schöne Zeiten in Kritzendorf. Viele schöne Tage haben wir dort verbracht, manchmal meine ganzen Ferien. Aber meine Eltern hatten nur 14 Tage Urlaub im Jahr. Sie haben beide immer gearbeitet, und wenn sie ins Ausland fahren wollten, sie haben zum Beispiel meine Großeltern, die zur Kur in Marienbad [heute Tschechien] waren, besucht oder waren in Italien, haben sie mich, als ich noch klein war, in ein Heim gegeben. Es war schrecklich für mich, wenn sie mich dort abgegeben haben, und es war schrecklich, wenn sie mich wieder abgeholt haben, denn dann hatte ich mich schon gut eingelebt. Aber damals ist man noch nicht oft in andere Länder oder Kontinente gereist, wie man das heute macht, wie man heute reist. Und dass die Kinder überallhin mitgenommen wurden, das hat es auch nicht gegeben. Man hat in Österreich in der Umgebung Urlaub gemacht - in Baden oder in Klosterneuburg, oder woanders. Man hat sich ein Zimmer oder eine Wohnung gemietet und ist mit Kindern und Hausrat dorthin übersiedelt.
Das durfte ich dann erst, als ich 14 war. Als ich geheiratet habe, hatte ich sehr langes Haar, bis weit über die Schulter. Ich hatte das Haar nach der Heirat immer aufgesteckt, denn als verheiratete Frau hatte hat man eben keine offenen Haare oder Zöpfe oder Locken zu tragen.
Meine Eltern wollten nun aber sehen, was ein junger Mensch, der auch mit der klassischen Tradition aufgewachsen war, zu einem modernen Stück sagt. Sie haben mir das danach erzählt. Das Stück hat mir nicht besonders gut gefallen. Kunst und Musik genieße ich heute genauso, wie in meiner Jugend. Aber mit der modernen Musik, der modernen Malerei und mit der modernen Poesie kann ich noch immer nichts anfangen. Und ich glaube nicht, dass das eine Sache des Alters ist.
Mein Gymnasium war Ecke Hollandstrasse, Hammer Purgstallgasse. Heute ist dort das Collegium Hungaricum. Das Haus wurde wahrscheinlich während des Kriegs zerbombt und nach dem Krieg wurden neue Häuser gebaut. In der 4. Klasse, das war 1928, wurde in unserem Gymnasium der ‚Bund Sozialistischer Mittelschüler’ gegründet. Meine damals beste Freundin ist eingetreten, und ich wollte auch eintreten. Aber meine Eltern haben gesagt: ‚Du bist zu jung, um politisiert zu werden. Wenn du erwachsen bist, 18 oder 19 Jahre alt, kannst du dich entscheiden. Vorläufig kommt eine Mitgliedschaft in irgendwelchen Parteien nicht in Frage!’ Zwei Jahre später wurde in unserem Gymnasium der ‚Bund Zionistischer Schüler’ gegründet. Ich wurde wieder aufgefordert beizutreten, und meine Eltern haben wieder gesagt: ‚Nein, das ist ein nationalistischer Verein, und du musst warten, bis du erwachsen bist und du weißt, für welche Politik du dich entscheiden willst. Vorläufig bist du zu jung!’ Dabei ist es geblieben, und ich bin zu der Zeit keiner Partei beigetreten.
Ich war schrecklich ehrgeizig und von der ersten Volksschulklasse bis zur Matura immer Vorzugsschülerin. Ich hab ein einziges Mal in der Zwischenzeit einen ‚Dreier’ gehabt, und der war nicht hundertprozentig meine Schuld, denn da hatten wir einen schlechten Lehrer. Nebbich! Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Er war ein jüdischer Lehrer, und er kam in der 4. Klasse zu uns. Der Mann hat mit einem jiddischen Akzent gesprochen. Er kam in die Klasse und, anstatt zu warten bis er an seinem Katheder ist, um sich vorzustellen, sagte er: ‚Sagen Sie mir das Futur von acquérir.’ Der war wirklich kein guter Lehrer!
Sie besuchten den Tempel in der Glockengasse Nummer 4, denn die städtischen Tempel waren dem Vater meiner Freundin nicht fromm genug. Im Vorderen Teil des Hauses haben sie gewohnt, und der Tempel war im hinteren Teil des Hauses. Als ich verlobt war und meinem Zukünftigen versprochen hatte, einen koscheren Haushalt zu führen, bin ich zur Frau Schreiber, der Mutter meiner Freundin gegangen. Sie hat mir erklärt, was man in einem koscheren Haushalt [2] wissen muss und mir alle ganzen Regeln beigebracht.
Meine Eltern waren nicht religiös, sie waren völlig assimiliert und haben keine Feiertage gehalten. Über Religion wurde nie gesprochen. Aber da Religion damals ein Pflichtfach in der Schule war, bin ich natürlich in den jüdischen Religionsunterricht gegangen. In der Volksschule in der Holzhausergasse waren die jüdischen Kinder in der Minorität, in der Kleinen Sperlgasse waren wir in der Majorität.