Ich weiß, dass mein Vater meine Mutter kennen lernte, als er geschäftlich unterwegs war. Ich kann mir vorstellen, dass meine Mutter bei ihrem Bruder Joel war, als sie sich kennen lernten, weil ich glaube, dass mein Vater seine Ware nicht in so einem kleinen Städtchen wie Narewka es war, versuchte zu verkaufen, sondern eher in größeren Städten wie Bialystok. Aber ich weiß es nicht genau. Sie lernten sich gleich nach dem Ersten Weltkrieg - ich wurde 1921 geboren - kennen. Wahrscheinlich heirateten sie 1919 oder 1920, denn ich wurde am 9. Dezember 1921 in Warschau geboren. Meine Schwester Halina war fünf Jahre jünger als ich und wurde 1926 in Warschau geboren.
- Traditions 11756
- Language spoken 3019
- Identity 7808
- Description of town 2440
- Education, school 8506
- Economics 8772
- Work 11672
- Love & romance 4929
- Leisure/Social life 4159
- Antisemitism 4822
-
Major events (political and historical)
4256
- Armenian genocide 2
- Doctor's Plot (1953) 178
- Soviet invasion of Poland 31
- Siege of Leningrad 86
- The Six Day War 4
- Yom Kippur War 2
- Ataturk's death 5
- Balkan Wars (1912-1913) 35
- First Soviet-Finnish War 37
- Occupation of Czechoslovakia 1938 83
- Invasion of France 9
- Molotov–Ribbentrop Pact 65
- Varlik Vergisi (Wealth Tax) 36
- First World War (1914-1918) 216
- Spanish flu (1918-1920) 14
- Latvian War of Independence (1918-1920) 4
- The Great Depression (1929-1933) 20
- Hitler comes to power (1933) 127
- 151 Hospital 1
- Fire of Thessaloniki (1917) 9
- Greek Civil War (1946-49) 12
- Thessaloniki International Trade Fair 5
- Annexation of Bukovina to Romania (1918) 7
- Annexation of Northern Bukovina to the Soviet Union (1940) 19
- The German invasion of Poland (1939) 94
- Kishinev Pogrom (1903) 7
- Romanian Annexation of Bessarabia (1918) 25
- Returning of the Hungarian rule in Transylvania (1940-1944) 43
- Soviet Occupation of Bessarabia (1940) 59
- Second Vienna Dictate 27
- Estonian war of independence 3
- Warsaw Uprising 2
- Soviet occupation of the Balitc states (1940) 147
- Austrian Civil War (1934) 9
- Anschluss (1938) 71
- Collapse of Habsburg empire 3
- Dollfuß Regime 3
- Emigration to Vienna before WWII 36
- Kolkhoz 131
- KuK - Königlich und Kaiserlich 40
- Mineriade 1
- Post War Allied occupation 7
- Waldheim affair 5
- Trianon Peace Treaty 12
- NEP 56
- Russian Revolution 351
- Ukrainian Famine 199
- The Great Terror 283
- Perestroika 233
- 22nd June 1941 468
- Molotov's radio speech 115
- Victory Day 147
- Stalin's death 365
- Khrushchev's speech at 20th Congress 148
- KGB 62
- NKVD 153
- German occupation of Hungary (18-19 March 1944) 45
- Józef Pilsudski (until 1935) 33
- 1956 revolution 84
- Prague Spring (1968) 73
- 1989 change of regime 174
- Gomulka campaign (1968) 81
-
Holocaust
9685
- Holocaust (in general) 2789
- Concentration camp / Work camp 1235
- Mass shooting operations 337
- Ghetto 1183
- Death / extermination camp 647
- Deportation 1063
- Forced labor 791
- Flight 1410
- Hiding 594
- Resistance 121
- 1941 evacuations 866
- Novemberpogrom / Kristallnacht 34
- Eleftherias Square 10
- Kasztner group 1
- Pogrom in Iasi and the Death Train 21
- Sammelwohnungen 9
- Strohmann system 11
- Struma ship 17
- Life under occupation 803
- Yellow star house 72
- Protected house 15
- Arrow Cross ("nyilasok") 42
- Danube bank shots 6
- Kindertransport 26
- Schutzpass / false papers 95
- Warsaw Ghetto Uprising (1943) 24
- Warsaw Uprising (1944) 23
- Helpers 521
- Righteous Gentiles 269
- Returning home 1090
- Holocaust compensation 112
- Restitution 109
- Property (loss of property) 595
- Loss of loved ones 1724
- Trauma 1029
- Talking about what happened 1807
- Liberation 558
- Military 3322
- Politics 2640
-
Communism
4468
- Life in the Soviet Union/under Communism (in general) 2592
- Anti-communist resistance in general 63
- Nationalization under Communism 221
- Illegal communist movements 98
- Systematic demolitions under communism 45
- Communist holidays 311
- Sentiments about the communist rule 930
- Collectivization 94
- Experiences with state police 349
- Prison/Forced labor under communist/socialist rule 449
- Lack or violation of human and citizen rights 483
- Life after the change of the regime (1989) 493
- Israel / Palestine 2190
- Zionism 847
- Jewish Organizations 1200
Displaying 22081 - 22110 of 50826 results
Emilia Ratz
Mein Vater Israel Endler wurde 1890 in Warschau geboren; seine Muttersprache war Polnisch. Er hatte eine kaufmännische Ausbildung und war Seifenfabrikant. Er war als Geschäftsmann viel unterwegs. Die Firma war klein, und er versuchte, seine Ware zu verkaufen, indem er von Ort zu Ort reiste.
Der Bruder meiner Mutter, den ich kannte, hieß Joel Katz. Er war Kaufmann, besaß einen Holzhandel in Bialystok, war verheiratet und hatte einen Sohn, der Josef hieß. Manchmal besuchten die Geschwister meiner Mutter uns, aber dass meine Eltern zu ihnen gefahren wären, daran kann ich mich nicht erinnern. Meine Mutter war sicher froh, dass sie in so einer großen Stadt wie Warschau leben durfte.
Alle Geschwister meiner Mutter und ihre Familien wurden im Holocaust ermordet.
Alle Geschwister meiner Mutter und ihre Familien wurden im Holocaust ermordet.
Meine Mutter hieß Marija und wurde 1896 in Narewka geboren. Sie absolvierte das Gymnasium, sprach Deutsch, Russisch und Polnisch. Während des Ersten Weltkrieges hat sie in der Post gearbeitet. Nachdem sie verheiratet war und Kinder bekommen hatte, hat sie ab und an in der Seifenfabrik meines Vaters ausgeholfen, aber meistens war sie zu Hause.
Meine Mutter hatte zwei ältere Schwestern und viele Brüder, von denen ich nur einen kannte. Eine Schwester hieß Bertha. Sie war verheiratet mit einem Mann, der eine Weinhandlung in Grodno [heute: Weißrussland] besaß. Sie hatten keine Kinder. Die andere Schwester hieß Sonja und war nicht verheiratet.
Meine Mutter hatte zwei ältere Schwestern und viele Brüder, von denen ich nur einen kannte. Eine Schwester hieß Bertha. Sie war verheiratet mit einem Mann, der eine Weinhandlung in Grodno [heute: Weißrussland] besaß. Sie hatten keine Kinder. Die andere Schwester hieß Sonja und war nicht verheiratet.
In Narewka war ich im Jahre 1969 das erste Mal, da hatte mein Mann bereits die Bewilligung durch die polnischen Behörden bekommen, mit unseren Kindern nach Österreich zu übersiedeln. Ich bat ihn, mit mir in diesen Ort zu fahren, weil ich wusste, dass ich ohne ihn Narewka nie sehen würde. 1888 hatte Narewka ungefähr 860 Einwohner, davon waren 780 Juden. 1908 führte man über die Ortschaft die Eisenbahnlinie Hajnowka–Wolkowysk. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Städtchen nicht zerstört. In der Zwischenkriegszeit gab es in dem Ort kleine Industriebetriebe, eine Terpentinfabrik und die Glashütte von Hackiel und eine Windmühle. Natürlich war das jüdische Leben nach dem Zweiten Weltkrieg ausgelöscht, sicher lebte nicht einmal ein Jude mehr in Narewka. Es gab keine Synagoge, kein jüdischer Friedhof zeugte von der Existenz jüdischen Lebens vor dem Holocaust.
Diese Schwester meines Vaters hatte eine Tochter Rosa, die auch in einer Wohnung im Haus wohnte. Ich ging sie gern besuchen, sie unterrichtete mich sogar eine kurze Zeit in französischer Sprache. Für die Familie hatte sie einen Makel, weil sie von ihrem nichtjüdischen Freund, der schon etwas älter war, ein Kind hatte. Damals war es noch ein Baby. Es wurde von der Familie nicht gern gesehen, dass ich sie besuchte, aber für mich war sie interessant. Wahrscheinlich hatte sie eine etwas andere Einstellung, als damals üblich, Kindern gegenüber. Sie achtete vielleicht meine Ansichten und sprach mit mir über Dinge, über die meine Eltern mit mir nicht gesprochen hätten. Rosa und ihr Kind kamen im Holocaust ums Leben.
In Polen war das so: Wenn man Akademiker war, auch als Jude, kam man, glaube ich, zwangsläufig in so eine Unteroffizierschule. Man nahm den Mann von Friederike also 1939 in die Armee, und er kam entweder in den Kriegsgeschehnissen um oder in einem Lager in Russland. Aber sein jüngerer Bruder überlebte. Friederike starb im Warschauer Ghetto. Als ich nach dem Krieg eine Freundin in London besuchte, sagte sie mir, sie sei mit einem Stützer befreundet, und er wäre der Bruder des Mannes meiner Cousine Friederike.
Die Familie meiner Tante war finanziell auch nicht schlecht gestellt. Sie hatten eine Tochter, die hieß Friederike und war zwei, drei Jahre älter als ich. Mit Friederike verstand ich mich auch nicht besonders, denn erstens war sie dumm, zweitens lernte sie sehr schlecht und drittens waren wir auf demselben Gymnasium. Wenn ich die Klasse verlassen musste, weil ich den Unterricht gestört hatte, musste ich durch ihre Klasse, und sie petzte das meiner Mutter: ‚Die Mila ist schon wieder aus der Schulstunde geflogen!’ Ich war aber eine gute Schülerin! Und ich hatte sehr gute Zensuren auf meinem Maturazeugnis. Friederike wurde von ihren Eltern ausschließlich als Kandidatin zum ‚guten Heiraten’ erzogen. Sie verbrachte die meiste Zeit vor dem Spiegel, ich aber war in einer ganz anderen Phase: Ich versuchte auch, mit allerdings beschränkten Mitteln, mich gut anzuziehen, war aber immer sehr beleidigt, wenn man nur mein Äußeres sah. Ich wollte immer, dass man unbedingt gleich meinen Intellekt durchleuchtet. Die Friederike ließ das alles kalt, lieber war sie auf der Suche nach einer ‚guten Partie’. Sie heiratete auch wirklich einen Anwalt, der älter war als sie. Ich gefiel damals einem Studenten vom vierten Jahr. Das heißt, er war vier oder fünf Jahre älter als ich. Da dachte ich, der ist verrückt, das ist ein alter Mann, was will der von mir! Und als Friederike 1938 den Anwalt Stützer heiratete, dachte ich auch so ähnlich. Ich war nicht die Einzige, die so dachte. Aus meiner Klasse, es waren alles jüdische Jugendliche, wollten höchstens 25-30 Prozent nach der Matura heiraten. Die anderen wollten weiter studieren.
Tante Helena war Hausfrau. Ihr Mann hatte ein Textilgeschäft im jüdischen Viertel, im Herzen Warschaus. Das Geschäft war in der Nalewki Strasse, einer sehr langen und berühmten Straße, in der es viele jüdische Geschäfte gab. Diese Straße kommt in allen Büchern über jüdisches Leben in Warschau vor dem Holocaust vor.
Onkel Ignatz war das schwarze Schaf der Familie. Er verließ die Familie in jungen Jahren und wanderte nach Südamerika aus. Ich sah ihn nur ein einziges Mal, das war im Jahre 1939. Ich kann mich erinnern, dass er mit einem Schiff kam und einen Überseekoffer dabei hatte. Er brachte meinem Vater zwölf Hemden mit weichen Kragen mit - heute tragen alle Männer solche Hemden. Mein Vater aber trug sein ganzes Leben lang nur Hemden mit steifen Kragen. Er bedankte sich bei seinem Bruder, aber als Onkel Ignatz wieder abgefahren war, sagte er: ‚Na Mila, jetzt kannst du dir 12 Blusen machen, so etwas werde ich nicht tragen.’ Aus einem Hemd machte ich mir eine Bluse, die den sogar den Krieg überlebte.
Onkel Ignatz war für mich die Personinfizierung des ‚reich sein’ - so einen Koffer zum Beispiel, zwölf Hemden auf einmal! Gut, mein Vater hatte wahrscheinlich auch viele Hemden, aber wenn man auf eine Reise geht, zwölf Hemden als Geschenk mitnehmen? Und so einen Überseekoffer hatte ich noch niemals gesehen. Das alles war für mich ziemlich exotisch. Ob er wirklich reich war, weiß ich nicht. Er war sehr sympathisch, und ich erinnere mich bis jetzt an den Ring, den er mir geschenkt hat. Das war mein erster Ring, ich war damals 17 Jahre alt. Der Ring war aus Gold und mein Name war eingraviert. Onkel Ignatz verunglückte tödlich bei einem Flugzeugabsturz. Wann das war, weiß ich nicht.
Onkel Ignatz war für mich die Personinfizierung des ‚reich sein’ - so einen Koffer zum Beispiel, zwölf Hemden auf einmal! Gut, mein Vater hatte wahrscheinlich auch viele Hemden, aber wenn man auf eine Reise geht, zwölf Hemden als Geschenk mitnehmen? Und so einen Überseekoffer hatte ich noch niemals gesehen. Das alles war für mich ziemlich exotisch. Ob er wirklich reich war, weiß ich nicht. Er war sehr sympathisch, und ich erinnere mich bis jetzt an den Ring, den er mir geschenkt hat. Das war mein erster Ring, ich war damals 17 Jahre alt. Der Ring war aus Gold und mein Name war eingraviert. Onkel Ignatz verunglückte tödlich bei einem Flugzeugabsturz. Wann das war, weiß ich nicht.
Onkel Adolf starb 1938 nach einer Blinddarmoperation, Tante Felicia überlebte das Warschauer Ghetto [7] nicht, Mieczyslav gelang die Flucht aus dem Ghetto. Er beschaffte sich ‚arische Papiere’ und kam mit der Organisation Todt [8] nach Südrussland, wo es ihm gelang, sich 1943 der polnischen Exilarmee anzuschließen. Er marschierte mit der Polnischen Armee [siehe Anders-Armee] [9] 1945 nach Polen ein, wurde dann Journalist und arbeitete bei einer Zeitung. Anfang der 1950er-Jahre fuhr er im Auftrag seiner Zeitung nach Schweden und kam nicht mehr zurück nach Polen. Später folgte ihm seine Familie. Er ist geschieden, seine Söhne leben in Schweden, und er lebt zwischen Deutschland und Schweden.
Es fielen schon Bomben, und es wurde bereits vom Dach einer Kaserne, die sich gegenüber der Universität befand, geschossen. Wahrscheinlich waren das ukrainische Nationalisten, aber wir wussten das nicht. Die ganze Macht in der kurzen Zeit, bevor die Deutschen Lemberg eroberten, lag in den Händen der ukrainischen Nationalisten. Ich werde bis zu meinem Tode meine Angst vor meinen ukrainischen Studienkollegen nicht vergessen. Vielleicht ist das eine Sünde, aber ich muss sagen, dieser ukrainische Nationalismus war schrecklich. Aber viele waren begeistert davon, hatte dieser Nationalismus der Ukraine doch zur Freiheit verholfen. In Lemberg lebte eine große ukrainische Minderheit, sie arbeiteten von Anfang an mit den Deutschen zusammen und waren schreckliche Antisemiten. Einer von dieser Gruppe kam zu mir, klopfte mir auf die Schulter und sagte: ‚Na Mila, mit den Deutschen wird das gut werden, endlich bekommen wir eine Ordnung!’ Ich war entsetzt, als ich das hörte und antwortete: ‚Das werden wir ja sehen.’ Ich sagte zu den anderen: ‚Ich gehe sofort! Und ich gehe nicht durch die Tür, sondern durchs Fenster, unsere ukrainischen Kollegen könnten uns umbringen.
, Ukraine
Ich meldete mich mit zwei Freundinnen freiwillig zur Armee, wir wollten gegen Hitler kämpfen, aber man wollte uns nicht nehmen, weil wir keine Ausbildung hatten. Da erzählten wir, wir hätten in der Schule so ein Fach gehabt, da wäre man als Kriegsvorbereitung zur Krankenschwester ausgebildet worden. Daraufhin wurden wir als Hilfskrankenschwestern aufgenommen. Im Gebäude der Uni war ein Lazarett eingerichtet, aber es gab noch keine Verletzten.
Martin hatte einen Onkel und eine Tante, die eine Tochter hatten, in Lemberg. Zu denen ging er nach der Prüfung, um gut zu Essen. Er saß also an dem Tag, als die Deutschen Lemberg überfielen, bei seiner Tante und aß. Sie hatte ihm eine Eierspeise gemacht, plötzlich kam der Onkel und sagte: ‚Was machst du hier?’ Stolz sagte Martin: ‚Ich habe meine Prüfung bestanden!’
‚Du bist verrückt, die ganze Stadt flieht. Geh sofort ins Heim, hole deine Sachen und verschwinde!’ Die Familie in Lemberg überlebte den Holocaust nicht.
Ich wiederum fühlte mich mobilisiert. Meine Freundin und ich arbeiteten sehr fleißig: Wir schleppten Betten und Matratzen, dann schickte man mich in ein Krankenhaus Medikamente holen. Ich ging durch die Stadt, die evakuiert wurde und sah nichts. Ich war so mit meiner Mission beschäftigt, dass ich nicht sah, was um mich herum geschah. Stolz brachte ich die Medikamente, und am Abend dieses Tages, die Stadt war ruhig, man hörte von weitem Artillerie, sagte ich zu meinen zwei Freundinnen: ‚Wisst ihr was, ich fühle mich wie in Warschau, bevor man Warschau aufgegeben hat.’ Mit uns war ein Mädchen, die als Heldin im Kampf um Warschau am Ende des Krieges fiel. Sie war zwei Jahre älter als ich, und sie war päpstlicher als der Papst. Sie beschimpfte mich, dass ich eine Defätistin sei, wie könne ich so etwas sagen.
Martin hatte einen Onkel und eine Tante, die eine Tochter hatten, in Lemberg. Zu denen ging er nach der Prüfung, um gut zu Essen. Er saß also an dem Tag, als die Deutschen Lemberg überfielen, bei seiner Tante und aß. Sie hatte ihm eine Eierspeise gemacht, plötzlich kam der Onkel und sagte: ‚Was machst du hier?’ Stolz sagte Martin: ‚Ich habe meine Prüfung bestanden!’
‚Du bist verrückt, die ganze Stadt flieht. Geh sofort ins Heim, hole deine Sachen und verschwinde!’ Die Familie in Lemberg überlebte den Holocaust nicht.
Ich wiederum fühlte mich mobilisiert. Meine Freundin und ich arbeiteten sehr fleißig: Wir schleppten Betten und Matratzen, dann schickte man mich in ein Krankenhaus Medikamente holen. Ich ging durch die Stadt, die evakuiert wurde und sah nichts. Ich war so mit meiner Mission beschäftigt, dass ich nicht sah, was um mich herum geschah. Stolz brachte ich die Medikamente, und am Abend dieses Tages, die Stadt war ruhig, man hörte von weitem Artillerie, sagte ich zu meinen zwei Freundinnen: ‚Wisst ihr was, ich fühle mich wie in Warschau, bevor man Warschau aufgegeben hat.’ Mit uns war ein Mädchen, die als Heldin im Kampf um Warschau am Ende des Krieges fiel. Sie war zwei Jahre älter als ich, und sie war päpstlicher als der Papst. Sie beschimpfte mich, dass ich eine Defätistin sei, wie könne ich so etwas sagen.
Am 23. Juni 1941 hätte ich eine wahnsinnig schwierige Prüfung in Mechanik haben sollen. Ich war im vierten Semester, und in der Früh, es war Sonntag, der 22. Juni, kam um sechs Uhr eine Kollegin, ich kannte sie noch aus der Schule, und sagte: ‚Es ist Krieg!’ Wir haben geglaubt, sie ist verrückt, und in dem Moment krachte es. Nach ein paar Minuten verstanden wir, dass das keine Übungen waren. Am nächsten Tag sollten wir fliehen, aber dann hieß es, die Deutschen seien abgewehrt worden. Der Direktor der Uni versammelte uns alle, man solle keine Panik machen, es sind Prüfungen, man solle ordentlich zu den Prüfungen gehen. Martin war ein Jecke [deutscher Jude, steht für besonders ordentlich und gesetzestreu], er hielt sich an die Anweisungen und ging, ich glaube es war der 28. Juni, brav zur Prüfung.
Der Vater war wahrscheinlich Kaufmann. Er arbeitete in Wien in einer Firma, ich weiß, es war eine Firma, die Bleistifte und solche Sachen verkaufte.
Zwei Jahre erlebte ich diesen ganzen realen Sozialismus. Schon in Warschau hatte ich ‚Das Kommunistische Manifest’ gelesen und glaubte, dass das sowjetische Russland ein Paradies ist. Das Materielle war sowieso ausgeblendet, wer dachte schon an so etwas! Einmal sah ich einen sowjetischen historischen Film über die Zarenzeit gegen den Imperialismus, wo unter anderem auch auf polnische Fahnen mit Füßen getrampelt wurde. Ich war entsetzt darüber - ich war doch eine polnische Patriotin.
Manchmal ging ich zu den älteren Studenten, um sie auf bestimmte Dinge, die meiner Meinung nach politisch nicht korrekt waren, aufmerksam zu machen. Aber immer hatten sie irgendeine Ausrede: Ja, das sind Fehler, aber das Prinzip ist richtig!
Manchmal ging ich zu den älteren Studenten, um sie auf bestimmte Dinge, die meiner Meinung nach politisch nicht korrekt waren, aufmerksam zu machen. Aber immer hatten sie irgendeine Ausrede: Ja, das sind Fehler, aber das Prinzip ist richtig!
Besonders auf den Universitäten gab es einen schrecklichen Antisemitismus. Polnische Nationalisten setzten durch, dass Juden und Nichtjuden getrennt in den Klassen sitzen mussten - Bank-Ghetto nannten wir das - und sie zettelten ständig Schlägereien an.
Und wirklich, ich hatte auf der Uni viele Bekannte. Ich war die Jüngste von allen, und alle fühlten sich verpflichtet, mir zu helfen. Es war Anfang November und die Prüfungen waren schon vorbei. Aber es gab ein Studentenkomitee, denn es war ein außergewöhnlicher Jahrgang. Es waren viele Leute, die niemals die Uni hätten betreten dürfen, Juden und Kommunisten. Und sie hatten erkämpft, dass wir eine außerordentliche Prüfung ablegen durften, um zu studieren.
Mit dem Wohnen allerdings war es kompliziert. Im Studentenheim herrschte ein so genannter ‚Kommandant’, das war ein älterer Student. Zu meinem Unglück besaß ich einen Mantel, den mir meine Mutter zur Matura hatte anfertigen lassen. Dieser Mantel hatte einen Persianerkragen. Der ‚Kommandant’ des Studentenheimes beschloss, wer einen Mantel mit einem Persianerkragen trägt, ist reich. Ich hatte überhaupt kein Geld und konnte mir keine Wohnung leisten. So lebte ich zwei Monate illegal, da wo ich schlief, eine Nacht hier, eine Nacht dort, gab man mir auch etwas zu essen. Ich musste viel lernen und die Prüfungen schnell absolvieren. Im Juni hatte ich maturiert, jetzt musste ich Mathematik-, Chemie-, und Physikprüfungen ablegen. Alle meine Freunde lernten mit mir, damit ich die Prüfungen gut bestehe, und ich schaffte es. Mein Traum erfüllte sich, ich konnte mit dem Chemiestudium beginnen.
Durch einen Trick bekam ich nach zwei Monaten doch einen Platz im Studentenheim. Nach den Prüfungen bekam ich auch ein Stipendium, aber von diesem Stipendium konnte man nicht leben und nicht sterben. Ich arbeitete neben dem Studium - Böden waschen und Pullover für ein Geschäft stricken. Eine Geschäftsfrau hatte Wolle versteckt, und ich strickte für das Geschäft die Pullover, was verboten war. Übrigens hasse ich stricken. Meine dritte Arbeit war die verwegenste, weil ich überhaupt kein Talent zum freien Zeichnen habe. Ich zeichnete für die englische Fakultät Tafeln zum Veranschaulichen der Vokabeln für den Sprachunterricht. Körper brachte ich irgendwie aufs Papier, aber die Köpfe zeichnete ein Freund, der Architektur studierte, der kam jeden Abend, um mir zu helfen.
Mit dem Wohnen allerdings war es kompliziert. Im Studentenheim herrschte ein so genannter ‚Kommandant’, das war ein älterer Student. Zu meinem Unglück besaß ich einen Mantel, den mir meine Mutter zur Matura hatte anfertigen lassen. Dieser Mantel hatte einen Persianerkragen. Der ‚Kommandant’ des Studentenheimes beschloss, wer einen Mantel mit einem Persianerkragen trägt, ist reich. Ich hatte überhaupt kein Geld und konnte mir keine Wohnung leisten. So lebte ich zwei Monate illegal, da wo ich schlief, eine Nacht hier, eine Nacht dort, gab man mir auch etwas zu essen. Ich musste viel lernen und die Prüfungen schnell absolvieren. Im Juni hatte ich maturiert, jetzt musste ich Mathematik-, Chemie-, und Physikprüfungen ablegen. Alle meine Freunde lernten mit mir, damit ich die Prüfungen gut bestehe, und ich schaffte es. Mein Traum erfüllte sich, ich konnte mit dem Chemiestudium beginnen.
Durch einen Trick bekam ich nach zwei Monaten doch einen Platz im Studentenheim. Nach den Prüfungen bekam ich auch ein Stipendium, aber von diesem Stipendium konnte man nicht leben und nicht sterben. Ich arbeitete neben dem Studium - Böden waschen und Pullover für ein Geschäft stricken. Eine Geschäftsfrau hatte Wolle versteckt, und ich strickte für das Geschäft die Pullover, was verboten war. Übrigens hasse ich stricken. Meine dritte Arbeit war die verwegenste, weil ich überhaupt kein Talent zum freien Zeichnen habe. Ich zeichnete für die englische Fakultät Tafeln zum Veranschaulichen der Vokabeln für den Sprachunterricht. Körper brachte ich irgendwie aufs Papier, aber die Köpfe zeichnete ein Freund, der Architektur studierte, der kam jeden Abend, um mir zu helfen.
Ich terrorisierte von außen meine Eltern und sagte, ich käme nur dann zurück, wenn sie wenigstens mich gehen ließen. Ich war noch nicht volljährig, aber es fehlten nur ein paar Monate.
Bereits kurze Zeit nach dem Einmarsch der Deutschen nach Warschau sah ich, wie man auf einem Markt einem Juden den Bart abschnitt. Ich sagte zu meinen Eltern: ‚Ich weiß, ich habe hier keine Chance. Ihr habt auch keine Chance, aber ich kann euch nicht zwingen mitzukommen.’ Mein Vater blieb stur, es kam für ihn nicht in Frage, mich gehen zu lassen, und in dem Moment sagte meine Mutter zu meinem Vater, sie brachte wahrscheinlich ihren ganzen Mut auf: ‚Weißt du was, ich kann für Mila die Verantwortung nicht übernehmen, ich weiß nicht, was passieren wird.’ Daraufhin stimmte mein Vater zu. Seine Bedingung war, ich dürfe nicht mit allen ‚Verrückten’ gehen, er besorgte ein Taxi für mich. Mit dem Taxi sollte ich zum Bruder meiner Mutter, Onkel Joel, nach Bialystok fahren, und der werde sich schon um mich kümmern. Mein Vater steckte noch 100 Zloty in meine Schuhe, was überhaupt keinen Sinn hatte, denn mit dem Geld konnte ich überhaupt nichts mehr anfangen.
Ich besitze kein einziges Foto von meinen Eltern und meiner Schwester, denn mein Vater kontrollierte noch meinen Rucksack, und er fand ein Kuvert mit Fotos, das ich eingesteckt hatte. Er nahm alle Fotos aus dem Kuvert, nur Fotos von mir ließ er drinnen und sagte: ‚Wenn du dich gefährden willst, bitte, aber du wirst nicht die ganze Familie gefährden.’ Darum besitze ich kein einziges Familienfoto.
Mit mir fuhr eine Frau mit einem Baby, ihr Mann war schon auf der russischen Seite. Aber wir wussten nicht, dass am 17. Oktober 1939 die Teilung Polens durch den Hitler-Stalin-Pakt [14] in deutsches und russisches Gebiet stattgefunden hatte. Das Taxi kam gerade mal ganze 20 Kilometer. Dann konfiszierten es die Deutschen. In diesem Durcheinander sagte die Frau mit dem Baby zu mir, sie gehe wieder zurück. Ich bat sie, zu meinen Eltern zu gehen und ihnen zu erzählen, sie habe mich aus den Augen verloren. Ich schloss mich daraufhin absolut fremden Leuten an, und wir gingen zu Fuß weiter. Ich glaube, es waren ungefähr 300 Kilometer bis nach Bialystok [heute Weißrussland]. Das war ein bisschen ein Schafgefühl - alle gehen, ich gehe auch. Manchmal nahm uns irgendein Bauer mit seinem Fuhrwerk mit, Autos fuhren kaum, denn erstens gab es nur wenige Autos, und diese wenigen Autos hatten die Deutschen requiriert.
Wie viele Tage wir unterwegs waren, weiß ich nicht. Halb verhungert und halb verdurstet bekamen wir manchmal etwas Milch von Bauern. Geld spielte überhaupt keine Rolle mehr. Aber wenn man ein Stück Seife hatte, und ich hatte ein paar Stück Seife - das hatte mein Vater richtig erkannt - konnte man sie gegen Lebensmittel eintauschen.
Wir kamen an die Demarkationslinie und bei meiner Gesinnung damals glaubte ich, dass die Sowjets an der Grenze stehen und auf mich warten. Zufällig war gerade kein deutscher Posten da, und wir liefen schnurstracks auf die sowjetische Seite. Der russische Grenzsoldat nahm den Karabiner, hielt ihn auf uns und sagte: ‚Stoi! Zurück!’
Dreimal versuchten wir herüber zu kommen, dreimal übergaben uns die Russen zum Glück nicht den Deutschen, das war so ein neutraler Streifen. Dann beschlossen wir - ich war die Jüngste - wir gehen ins Dorf und versuchen, einen Bauern zu finden, der uns über die grüne Grenze fährt. Der Bauer, den wir fanden, gehörte zu einer deutschen Minderheit, die sehr arm war. Er fuhr uns ein Stück mit seinem Boot. ‚Zur Sicherheit’, wie er sagte, nahm uns dieser Bauer allen Schmuck, auch meine Uhr und meinen Ring, den mir mein Onkel Ignatz aus Südamerika geschenkt hatte, ab. Diese Flucht missglückte, aber wir schafften es dann doch, illegal die Grenze zu passieren. Ich verkühlte mich, es war Oktober und die Nächte waren schon kalt. Mit 17 Jahren denkt man nicht so viel an Krankheiten, denn ich hatte einen Mantel, den ich aber vergessen hatte anzuziehen. Als ich in Bialystok bei meinen Verwandten ankam, öffnete die Frau von Onkel Joel die Tür, schaute mich an und wollte mich nicht hereinlassen, weil sie mich nicht erkannte - in so einem schrecklichen Zustand war ich. Sie hat geglaubt, vor ihr steht eine Bettlerin.
Am nächsten Tag hatte ich Fieber, aber als ich ein bisschen zu mir kam, übernahm mein Onkel Joel, im Namen meines Vaters, die Führung. Er sagte, dass seine liebe Schwester Marija immer so wahnsinnig tolerant ist und das sei nicht gut für die Kinder, und jetzt werde er mir zeigen, was Ordnung sei. ‚Du bleibst hier, arbeiten kommt überhaupt nicht in Frage, wir werden schon einen Partner für dich finden.’ Als ich dann gesund war, habe ich gesagt: ‚Weißt du was, ich bin ein Mensch, und du bist auch nicht mein Vater, und außerdem bin ich fast volljährig!’ Und er sagte: ‚Du bist ein Kind!’ Ich wollte mit ihm keinen großen Streit, also ging ich den nächsten Tag ins Zentrum der Stadt und fand eine Flüchtlingsorganisation. Ich hatte kein gültiges Geld, und meine Schuhe waren zum wegschmeißen. Von der Flüchtlingsorganisation erhielt ich kostenlos ein Ticket nach Lemberg, ging zu meinem Onkel und sagte: ‚Morgen fahre ich nach Lemberg!’ Selbstverständlich gab es wieder einen ähnlichen Skandal wie zu Hause. Aber ich ließ mich nicht abhalten, ich wollte studieren und in Bialystok gab es keine Möglichkeit dazu. Der Onkel sagte: ‚Du kennst doch dort keinen Menschen!’ Ich sagte: ‚Aber ich gehe doch nicht in die Wüste!’
Als ich am Abend in Lemberg aus dem Zug stieg, stand ich auf dem Bahnhof wie eine arme Waise. Ich war niemals vorher in dieser Stadt. Ich wusste, dass Lemberg ein kulturelles Zentrum ist, mehr aber auch nicht. Eine Frau sprach mich an und sagte zu mir:
‚Mädchen du bist sicher ein Flüchtling!’
‚Ja!’
‚Hast du jemandem, wo du schlafen kannst?’
‚Nein!’
‚Du kannst bei mir schlafen. Ich habe leider nur eine sehr kleine Wohnung, aber ich lege dir eine Matratze in die Badewanne, und dort kannst du schlafen.’
Ich sagte: ‚Wissen Sie, ich will auf die Uni!’ Meine Wohltäterin war eine Lehrerin. Ich sagte: ‚Ich habe überhaupt kein Geld, aber auf der Uni habe ich vermutlich sehr viele Freunde.’ Ich kannte ja aus Warschau viele junge Leute, auch ältere Studenten.
Bereits kurze Zeit nach dem Einmarsch der Deutschen nach Warschau sah ich, wie man auf einem Markt einem Juden den Bart abschnitt. Ich sagte zu meinen Eltern: ‚Ich weiß, ich habe hier keine Chance. Ihr habt auch keine Chance, aber ich kann euch nicht zwingen mitzukommen.’ Mein Vater blieb stur, es kam für ihn nicht in Frage, mich gehen zu lassen, und in dem Moment sagte meine Mutter zu meinem Vater, sie brachte wahrscheinlich ihren ganzen Mut auf: ‚Weißt du was, ich kann für Mila die Verantwortung nicht übernehmen, ich weiß nicht, was passieren wird.’ Daraufhin stimmte mein Vater zu. Seine Bedingung war, ich dürfe nicht mit allen ‚Verrückten’ gehen, er besorgte ein Taxi für mich. Mit dem Taxi sollte ich zum Bruder meiner Mutter, Onkel Joel, nach Bialystok fahren, und der werde sich schon um mich kümmern. Mein Vater steckte noch 100 Zloty in meine Schuhe, was überhaupt keinen Sinn hatte, denn mit dem Geld konnte ich überhaupt nichts mehr anfangen.
Ich besitze kein einziges Foto von meinen Eltern und meiner Schwester, denn mein Vater kontrollierte noch meinen Rucksack, und er fand ein Kuvert mit Fotos, das ich eingesteckt hatte. Er nahm alle Fotos aus dem Kuvert, nur Fotos von mir ließ er drinnen und sagte: ‚Wenn du dich gefährden willst, bitte, aber du wirst nicht die ganze Familie gefährden.’ Darum besitze ich kein einziges Familienfoto.
Mit mir fuhr eine Frau mit einem Baby, ihr Mann war schon auf der russischen Seite. Aber wir wussten nicht, dass am 17. Oktober 1939 die Teilung Polens durch den Hitler-Stalin-Pakt [14] in deutsches und russisches Gebiet stattgefunden hatte. Das Taxi kam gerade mal ganze 20 Kilometer. Dann konfiszierten es die Deutschen. In diesem Durcheinander sagte die Frau mit dem Baby zu mir, sie gehe wieder zurück. Ich bat sie, zu meinen Eltern zu gehen und ihnen zu erzählen, sie habe mich aus den Augen verloren. Ich schloss mich daraufhin absolut fremden Leuten an, und wir gingen zu Fuß weiter. Ich glaube, es waren ungefähr 300 Kilometer bis nach Bialystok [heute Weißrussland]. Das war ein bisschen ein Schafgefühl - alle gehen, ich gehe auch. Manchmal nahm uns irgendein Bauer mit seinem Fuhrwerk mit, Autos fuhren kaum, denn erstens gab es nur wenige Autos, und diese wenigen Autos hatten die Deutschen requiriert.
Wie viele Tage wir unterwegs waren, weiß ich nicht. Halb verhungert und halb verdurstet bekamen wir manchmal etwas Milch von Bauern. Geld spielte überhaupt keine Rolle mehr. Aber wenn man ein Stück Seife hatte, und ich hatte ein paar Stück Seife - das hatte mein Vater richtig erkannt - konnte man sie gegen Lebensmittel eintauschen.
Wir kamen an die Demarkationslinie und bei meiner Gesinnung damals glaubte ich, dass die Sowjets an der Grenze stehen und auf mich warten. Zufällig war gerade kein deutscher Posten da, und wir liefen schnurstracks auf die sowjetische Seite. Der russische Grenzsoldat nahm den Karabiner, hielt ihn auf uns und sagte: ‚Stoi! Zurück!’
Dreimal versuchten wir herüber zu kommen, dreimal übergaben uns die Russen zum Glück nicht den Deutschen, das war so ein neutraler Streifen. Dann beschlossen wir - ich war die Jüngste - wir gehen ins Dorf und versuchen, einen Bauern zu finden, der uns über die grüne Grenze fährt. Der Bauer, den wir fanden, gehörte zu einer deutschen Minderheit, die sehr arm war. Er fuhr uns ein Stück mit seinem Boot. ‚Zur Sicherheit’, wie er sagte, nahm uns dieser Bauer allen Schmuck, auch meine Uhr und meinen Ring, den mir mein Onkel Ignatz aus Südamerika geschenkt hatte, ab. Diese Flucht missglückte, aber wir schafften es dann doch, illegal die Grenze zu passieren. Ich verkühlte mich, es war Oktober und die Nächte waren schon kalt. Mit 17 Jahren denkt man nicht so viel an Krankheiten, denn ich hatte einen Mantel, den ich aber vergessen hatte anzuziehen. Als ich in Bialystok bei meinen Verwandten ankam, öffnete die Frau von Onkel Joel die Tür, schaute mich an und wollte mich nicht hereinlassen, weil sie mich nicht erkannte - in so einem schrecklichen Zustand war ich. Sie hat geglaubt, vor ihr steht eine Bettlerin.
Am nächsten Tag hatte ich Fieber, aber als ich ein bisschen zu mir kam, übernahm mein Onkel Joel, im Namen meines Vaters, die Führung. Er sagte, dass seine liebe Schwester Marija immer so wahnsinnig tolerant ist und das sei nicht gut für die Kinder, und jetzt werde er mir zeigen, was Ordnung sei. ‚Du bleibst hier, arbeiten kommt überhaupt nicht in Frage, wir werden schon einen Partner für dich finden.’ Als ich dann gesund war, habe ich gesagt: ‚Weißt du was, ich bin ein Mensch, und du bist auch nicht mein Vater, und außerdem bin ich fast volljährig!’ Und er sagte: ‚Du bist ein Kind!’ Ich wollte mit ihm keinen großen Streit, also ging ich den nächsten Tag ins Zentrum der Stadt und fand eine Flüchtlingsorganisation. Ich hatte kein gültiges Geld, und meine Schuhe waren zum wegschmeißen. Von der Flüchtlingsorganisation erhielt ich kostenlos ein Ticket nach Lemberg, ging zu meinem Onkel und sagte: ‚Morgen fahre ich nach Lemberg!’ Selbstverständlich gab es wieder einen ähnlichen Skandal wie zu Hause. Aber ich ließ mich nicht abhalten, ich wollte studieren und in Bialystok gab es keine Möglichkeit dazu. Der Onkel sagte: ‚Du kennst doch dort keinen Menschen!’ Ich sagte: ‚Aber ich gehe doch nicht in die Wüste!’
Als ich am Abend in Lemberg aus dem Zug stieg, stand ich auf dem Bahnhof wie eine arme Waise. Ich war niemals vorher in dieser Stadt. Ich wusste, dass Lemberg ein kulturelles Zentrum ist, mehr aber auch nicht. Eine Frau sprach mich an und sagte zu mir:
‚Mädchen du bist sicher ein Flüchtling!’
‚Ja!’
‚Hast du jemandem, wo du schlafen kannst?’
‚Nein!’
‚Du kannst bei mir schlafen. Ich habe leider nur eine sehr kleine Wohnung, aber ich lege dir eine Matratze in die Badewanne, und dort kannst du schlafen.’
Ich sagte: ‚Wissen Sie, ich will auf die Uni!’ Meine Wohltäterin war eine Lehrerin. Ich sagte: ‚Ich habe überhaupt kein Geld, aber auf der Uni habe ich vermutlich sehr viele Freunde.’ Ich kannte ja aus Warschau viele junge Leute, auch ältere Studenten.
, Ukraine
Daraufhin zog ich zu meiner Freundin Halina Altmann. Sie hatte sehr fortschrittliche Eltern, die Mutter war damals sogar für ihre politische Überzeugung im Gefängnis, oder schon entlassen, ich weiß das nicht mehr so genau. Sie waren alle links und beschlossen zu flüchten. Halina floh nach Lemberg [heute Lviv, Ukraine] und studierte an der Universität. Ihre Eltern und ihr jüngerer Bruder flohen nach Lutzk, einem kleinen Ort, der unter russischer Herrschaft war und heute in der Ukraine liegt. Der Vater war gerade auf einer Dienstreise in Kiew, als die Deutschen in Lutzk einmarschierten und die Mutter und den Bruder von Halina ermordeten. Halina und ihr Vater überlebten den Holocaust.
Die Männer und die jungen Leute versuchten zu fliehen. Auch ich wollte weg, weil ich ahnte, dass es schlimm werden würde.
Ich war hundertprozentig davon überzeugt, dass man fliehen muss. Die polnische Regierung sagte: ‚Wir sind stark, wir werden kämpfen und wir werden siegen!’ Und in meinem kleinen Gehirn - damals glaubte ich allerdings, ich sei wahnsinnig erwachsen und weiß schon alles - wusste ich in dieser Zeit, dass der Kampf gegen die Deutschen verloren war. Warschau fiel nach drei Wochen in die Hände der Deutschen.
Mein Vater - das war eine Katastrophe - wollte mich nicht gehen lassen. ‚Du verlässt die Familie?’ sagte er, und ich blieb. Ich war die einzige Person Lebensmittel besorgte - meine Schwester war 12 Jahre alt, meine Mutter dicklich und keine Anstrengungen gewöhnt, mein Vater war wahrscheinlich Herz- und Nierenkrank und schwitzte immer- und sich nach Wasser anstellte, denn es gab keines mehr.
Ich war hundertprozentig davon überzeugt, dass man fliehen muss. Die polnische Regierung sagte: ‚Wir sind stark, wir werden kämpfen und wir werden siegen!’ Und in meinem kleinen Gehirn - damals glaubte ich allerdings, ich sei wahnsinnig erwachsen und weiß schon alles - wusste ich in dieser Zeit, dass der Kampf gegen die Deutschen verloren war. Warschau fiel nach drei Wochen in die Hände der Deutschen.
Mein Vater - das war eine Katastrophe - wollte mich nicht gehen lassen. ‚Du verlässt die Familie?’ sagte er, und ich blieb. Ich war die einzige Person Lebensmittel besorgte - meine Schwester war 12 Jahre alt, meine Mutter dicklich und keine Anstrengungen gewöhnt, mein Vater war wahrscheinlich Herz- und Nierenkrank und schwitzte immer- und sich nach Wasser anstellte, denn es gab keines mehr.
Unsere Wohnung lag im Warschauer Ghetto. Weit schlimmer war es, wenn die Leute in eine andere Wohnung mussten - er wohnte in seiner Wohnung. Später kamen andere Leute dazu.
Poland
Die letzten Briefe meines Vaters erhielt ich 1941 aus dem Warschauer Ghetto. Selbstverständlich waren die Briefe zensuriert.
Poland
Im Jahre 1943, glaube ich, entstand eine polnische Organisation und eine polnische Armee. Ich wollte mich für diese Armee bewerben, aber man nahm die Studenten der älteren Semester nicht. Ich bat meinen Professor von der Uni, der schon mein Lehrer in der Schule in Warschau gewesen war und der mich sehr gern hatte, um Hilfe. Aber das Gegenteil geschah. Obwohl er sehr links war, beschimpfte er mich schrecklich und sagte, solche Soldaten wie mich brauche man nicht. Sicher wollte er mein Leben retten. Außer der polnischen Armee entstand auch die ‚Polnisch-Sowjetische- Gesellschaft’, deren Zentrale in Moskau war. In dieser Gesellschaft arbeitete ich in Russland als Sozialarbeiterin mit.
Ich war Technologin einer Abteilung, in der Maschinenteile erzeugt wurden - mein Mann war in einer anderen Abteilung. Und dann erfuhr unser Direktor, dass am Bahnhof - damals bekam Russland schon Hilfe aus Amerika - zwei amerikanische Gießautomaten standen und kein Mensch wusste, für wen die waren. Wahrscheinlich hatte er Beziehungen und schnappte sich diese Maschinen. Im Werk war eine Gießerei, aber es gab keinen Menschen, der Englisch konnte. Mein Mann meldete sich und übersetzte die Gebrauchsanweisung. Seitdem war er stellvertretender Abteilungsleiter in seiner Abteilung.
Mit dem Diplom in der Tasche wurde man Arbeitsstellen [siehe: Verpflichtender Arbeitsauftrag in der UdSSR] [16] zugeteilt. Das war 1944, es war schon Anfang der Offensive und Moskau oder Leningrad kamen nicht in Frage, weil diese Städte noch evakuiert waren. In Dschelabis, einer Industriestadt im Süden des Ural, war ein berühmtes Rohrwalzwerk in das wir, zu unserem Entsetzen, eingeteilt wurden. Aber wir nutzten das Durcheinander und gingen in das Werk in Swerdlowsk, in dem wir für das Diplom gearbeitet hatten. Die Betriebe waren selbstverständlich interessiert an Kräften. Wir arbeiteten wieder zwölf Stunden täglich, und ich glaube, auch jeden zweiten Sonntag. Das Essen war kärglich: Brot, schlechtes Öl, Tee aus getrockneten Karotten. Am Markt konnte man vieles kaufen, aber dafür reichte unser Geld nicht. Das Werk, in dem wir arbeiteten, war auch evakuiert, wir lebten in schrecklichen Baracken. In Swerdlowsk konnten im Winter minus 30 Grad sein, und wir hatten kein fließendes Wasser und einen russischen Ofen [17] zum Heizen und zum Kochen. Ich hatte so etwas vorher niemals im Leben gesehen. Einmal bekam ich in einem Dorfladen zufällig warme Unterhosen in der Farbe rot.
, Russia
Nachdem ich mein Diplom bestanden hatte, wurde ich auf einer Strasse in Swerdlowsk das erste Mal in meinem Leben als Jüdin beschimpft. Daraufhin gab ich dem jungen Mann eine Ohrfeige. Ich war 23 Jahre alt, und die Menge der Leute, die zwar nicht wusste, worum es sich handelte, hatte ich auf meiner Seite.
Unser Praxissemester absolvierten wir in einer Motorradfabrik in dem kleinen Städtchen Irbit. Wir arbeiteten wie die Arbeiter zwölf Stunden täglich. In diesem Städtchen gab es keine richtigen Strassen, nur Wege, wie in der ärmsten Gegend in Ostpolen. Sechs Wochen waren wir auf Familien verteilt, und zu Essen hatten wir sehr wenig - eigentlich hungerten wir. Dann kamen wir zurück nach Swerdlowsk, legten brav unsere Prüfungen ab, und im nächsten Sommer bekamen wir schon das Thema der Diplomarbeiten. Wir sollten schnell fertig werden, um in der Praxis eingesetzt zu werden. Meine Diplompraxis absolvierte ich in einem evakuierten Werk für Flugzeugapparaturen. Mit der Arbeit war ich sehr zufrieden. Selbstverständlich wurden wir ausgenutzt, aber wir lernten auch viel.
Mein Mann versuchte die ganze Zeit irgendwie Geld dazu zu verdienen. Ich hatte ein verletztes Bein, es heilte nicht, weil es keine Vitamine gab. Wir waren praktisch mit dem Studium fertig und mussten nur noch unsere Diplomprüfungen machen. Aber schnell arbeiten zu gehen, war nicht besonders reizvoll. Die Studenten hatten zwar sehr wenig Geld und wenig zu Essen, aber wir hatten Zeit und mussten nicht zwölf Stunden arbeiten. Ich bummelte ein wenig. Irgendjemand verpetzte mich wahrscheinlich, und dann musste ich ins Sekretariat der Uni. Aber da Emanzipation noch nicht wirklich großgeschrieben war, argumentierte ich so: ‚Ich bin dann Ingenieur und mein Mann ist noch ein Student, wie sieht denn das aus?’ Ich handelte sechs Wochen raus, und mein Mann und ich schlossen am selben Tag unser Studium mit dem Diplom ab.
Ich hatte beschlossen, zum Diplom richtige Schuhe zu tragen. Martin und ich aßen weniger Brot, um es für meine Schuhe auf dem Markt zu verkaufen. Weder er noch ich waren gute Verkäufer, und Martin hat das auf mich abgeschoben. Ich ging mit diesen zwei Laiben Brot auf den Markt.
Mein Mann versuchte die ganze Zeit irgendwie Geld dazu zu verdienen. Ich hatte ein verletztes Bein, es heilte nicht, weil es keine Vitamine gab. Wir waren praktisch mit dem Studium fertig und mussten nur noch unsere Diplomprüfungen machen. Aber schnell arbeiten zu gehen, war nicht besonders reizvoll. Die Studenten hatten zwar sehr wenig Geld und wenig zu Essen, aber wir hatten Zeit und mussten nicht zwölf Stunden arbeiten. Ich bummelte ein wenig. Irgendjemand verpetzte mich wahrscheinlich, und dann musste ich ins Sekretariat der Uni. Aber da Emanzipation noch nicht wirklich großgeschrieben war, argumentierte ich so: ‚Ich bin dann Ingenieur und mein Mann ist noch ein Student, wie sieht denn das aus?’ Ich handelte sechs Wochen raus, und mein Mann und ich schlossen am selben Tag unser Studium mit dem Diplom ab.
Ich hatte beschlossen, zum Diplom richtige Schuhe zu tragen. Martin und ich aßen weniger Brot, um es für meine Schuhe auf dem Markt zu verkaufen. Weder er noch ich waren gute Verkäufer, und Martin hat das auf mich abgeschoben. Ich ging mit diesen zwei Laiben Brot auf den Markt.
Dschimbek liegt in Nord-Kasachstan, in der Steppe, 200 Kilometer von Stalingrad entfernt und wurde unser Ziel, das wir erreichten. In Nord Kasachstan gab es Siedlungen im Abstand von ungefähr 50 Kilometern. Wir ernährten uns hauptsächlich von geklautem Obst. Unsere Füße waren verletzt, denn die Schuhe waren komplett abgetragen. Stalin hatte angeblich den Befehl gegeben, dass die Lastkraftwagen, die von der Front leer zurückkommen, Flüchtlinge mitnehmen sollten, aber sie taten es oder taten es nicht. Ich besaß eine Flasche Wodka, mit der setzte ich mich auf die Strasse. Das wirkte stärker als Stalins Anordnung.
Dschimbek war schon eine orientalische Stadt, Knotenpunkt zwischen Norden und Süden. Dort traf ich - das wahre Leben ist interessanter als ein Film - eine Freundin. Ich wollte weiter in den Norden, weil ich glaubte, die Hitze im Süden würde uns zu schaffen machen. Auf diese Weise kamen wir nach Swerdlowsk [heute Jekaterinburg], zogen Erkundigungen über die Uni ein und erfuhren, dass dort ein Professor lehrt, der mit uns in Stalingrad war. Er bemühte sich dann sehr um uns, und die erste Zeit nahm er uns sogar bei sich auf. In Swerdlowsk gab es eine Fakultät für Chemie, aber wir hatten so viele Prüfungen in Maschinenbau bereits abgelegt, dass wir dabei blieben. Das war Herbst 1942.
Dschimbek war schon eine orientalische Stadt, Knotenpunkt zwischen Norden und Süden. Dort traf ich - das wahre Leben ist interessanter als ein Film - eine Freundin. Ich wollte weiter in den Norden, weil ich glaubte, die Hitze im Süden würde uns zu schaffen machen. Auf diese Weise kamen wir nach Swerdlowsk [heute Jekaterinburg], zogen Erkundigungen über die Uni ein und erfuhren, dass dort ein Professor lehrt, der mit uns in Stalingrad war. Er bemühte sich dann sehr um uns, und die erste Zeit nahm er uns sogar bei sich auf. In Swerdlowsk gab es eine Fakultät für Chemie, aber wir hatten so viele Prüfungen in Maschinenbau bereits abgelegt, dass wir dabei blieben. Das war Herbst 1942.
, Kazakhstan
Im Juni 1942 wurden alle Studenten in Stalingrad mobilisiert, und wir mussten eine Verteidigungslinie gegen die deutschen Truppen bauen. Die Verpflegung war in dieser Zeit ganz gut. Eines Tages, in der Früh, fielen die Bomben. Das war noch nicht die Schlacht um Stalingrad, aber das waren die ersten Kämpfe. Zwei Mädchen in meiner Gruppe waren noch ganz jung, sie weinten, denn sie hatten niemals den Krieg gesehen.
Die einzige Eisenbahnlinie, die nach Süden führte, war schrecklich bombardiert, aber im Zentrum der Stadt war ein Hafen. Die einzige Möglichkeit aus Stalingrad zu fliehen, war mit kleinen Schiffen auf die andere Seite der Wolga zu kommen. Wir glaubten allerdings zuerst in unserer Naivität, wir waren ja doch erst 21 Jahre alt, wir könnten uns ein Floss bauen.
Die einzige Eisenbahnlinie, die nach Süden führte, war schrecklich bombardiert, aber im Zentrum der Stadt war ein Hafen. Die einzige Möglichkeit aus Stalingrad zu fliehen, war mit kleinen Schiffen auf die andere Seite der Wolga zu kommen. Wir glaubten allerdings zuerst in unserer Naivität, wir waren ja doch erst 21 Jahre alt, wir könnten uns ein Floss bauen.
, Russia