Tag #115160 - Interview #78542 (Edith Landesmann)

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Unser erstes Treffen war an einem Samstag, anschließend an die wöchentlichen Militärübungen der Hagana. Ich sollte mich mit meinem Bruder und seinem neuen Freund beim Jarkon treffen. Der Jarkon war der einzige Fluss in unserer Gegend, man konnte dort Boote mieten und bis Tel-Aviv rudern. Es war eine beliebte Samstagsbeschäftigung, denn es gab nicht viele Möglichkeiten. Am Samstag, schon am Freitag Abend war alles gesperrt, auch gab es keine Autobusse, und Privatautos hatten nur ganz Wenige, jedenfalls niemand in unserem Bekanntenkreis.  Ich kam also zu unserem Treffpunkt am Jarkon in meiner Khakimontur und etwas schmutzig von den militärischen Übungen, aber die zwei Herren waren nicht da! Ich setzte mich in den Sand und wartete, und wartete... Nach einer geraumen Zeit kamen Kurt und Bobby . Sie waren schon ohne mich rudern gegangen! Ich war wütend! Am Nachhauseweg frotzelte mich der Neue auch noch, warum ich so komisch am Schabbat angezogen sei, und überhaupt, warum ich zu spät kam!! Ich besaß damals auch noch keine Uhr! Ich war also gar nicht begeistert von diesem städtischen Parasiten, der nicht das geringste für das Wohl des Landes und zum Ende des Krieges beitrug!
Einige Wochen später war ein Appell aller Hagana Offiziere. Wir standen stramm, und die Offiziere gingen an uns vorbei, und siehe da, einer davon war - Bobby! Er war doch nicht ein solcher Parasit, wie ich dachte!

Kurt lud seine Freunde immer am Freitag Abend ein, und ich sollte die Hausfrau spielen, da die Eltern meistens Freitag zu Freunden in Ramat-Gan gingen. Mutter bereitete Vanillekipferl, und ich sollte Tee oder Kakao kochen. Die Burschen saßen jeder in einer Ecke und prüften einander aus dem Lexikon. Bobby wusste am meisten, und das imponierte mir sehr! Später gefiel mir an ihm, dass er mich nicht nur als "Kumpel" behandelte, so wie es alle meine Freunde bis dahin machten, sondern als junge Dame! Das hatte bis jetzt niemand getan! Er half mir aus dem Autobus, er öffnete die Türe und ließ mich vorgehen u.s.w.
Oft gingen wir Samstag Nachmittag zu viert tanzen. Kurt, Bobby, Ruth und ich. Außer Volkstänze konnte ich aber keine Tänze, so lernte ich von Bobby Tango, Walzer u.s.w. Ich glaube, ich ging auch das erste Mal mit ihm ins Kino. Die Ruth lernte inzwischen ihren zukünftigen Mann kennen und verließ unseren Kreis.
Kurt hatte kurz nach Kriegsschluss, die Möglichkeit nach Leeds in England studieren zu gehen, und Bobby fuhr nach Abbadan zur Anglo-Iranian Oil Company, um gutes Geld zu verdienen, denn sein Wunsch war es, seine Eltern, die nach Brasilien emigrieren konnten, wieder zu sehen! So blieb ich wieder alleine ohne Gesellschaft. Meine alten Freunde aus der Jugendorganisation schlossen sich inzwischen der Kommunistischen Jugend an, denn in diesen schweren Zeiten sahen wir in den Russen, also in den Kommunisten, die Rettung vor den Nazis. Als dann im Jahre 1941 die zweite Front eröffnet wurde, um die Alliierten zu entlasten, waren die Russen als große Retter angesehen! So kam es, dass die meiste Jugend, die sowieso sozialistisch war, zum Kommunismus wechselte. Meine früheren Freunde nahmen Kontakt mit mir auf, und ich folgte ihnen in den Komsomol. Dort öffnete sich mir eine neue Welt. Ich traf mit Jugendlichen aus wirklichen Arbeiterfamilien zusammen und kam, als ich die kommunistische Zeitung verteilte, in die tiefsten "Slums" von Tel-Aviv, die ich nie gesehen hatte. Die meisten meiner neuen Freunde waren aus sefardischen Familien, aus Syrien und Marokko.
Interview
Edith Landesmann