Tag #115388 - Interview #78504 (Eva Köckeis-Stangl)

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1921 hat er schließlich an seinem Geburtstag Lilly Livia Gunszt, eine ganz besonders schöne, und wesentlich jüngere Frau geheiratet. Lilly war aus einer eher armen Familie mit vielen Geschwistern, die alle zusammen von Budapest nach Wien gezogen waren, als sie noch ein Kind war. Lilly war eine sehr schöne, sehr liebe übrigens, und sanfte Frau. Dass sie sehr schön war, war – glaub ich – für Otto sehr wichtig.
Sie haben zuerst in einer Wohnung in Hietzing gewohnt und dann aber hat Otto ein Haus gekauft in der Oberen Donaustraße, also im 2. Bezirk – und der zweite Bezirk war DIE jüdische Gegend. Und dort war eben auch die Fabrik. Aber andererseits doch am Rand vom 2. Bezirk, mit einem wunderschönen Blick über den Donaukanal bis zum Kahlenberg und Leopoldsberg. Und es war wieder ein Haus, indem der erste Stock, die repräsentativste Wohnung, eine große, prächtige Wohnung, unsere war, die der Brills. Otto hat sich intensiv um deren Einrichtung angenommen, alles musste nach seinen Anweisungen geschehen. Den Kleinkram, natürlich, den hat er dann Lilly überlassen. Sie hat ihm übrigens immer nachgegeben, was mich als Kind sehr geärgert hat. Es gab Dienstpersonal, ein Stubenmädchen dazu, meistens, glaub ich. Und für die Kinder ein „Fräulein“, solang‘ wir Kinder kleiner waren. Wir lernten Sprachen, Reiten, Tanzen usw. usw.

Ich bin also am 1.8.1922 als erstes von drei Kindern geboren. Nach mir kam Agi, dann Hansi. Zu der Zeit hatte Otto seine Naturwissenschaftler-Karriere zugunsten der Übernahme der Fabrik seines Vaters (nach dessen Tod) aufgegeben. Und das war, glaub ich, für Otto eine arge Unterbrechung und das Ende von dem, was er eigentlich hätte tun wollen… aber es ist ihm nix anderes übriggeblieben.
Er hat also diesen Betrieb geführt und dann hat es noch eine Menge damit verbundene Dinge gegeben, für die er zuständig war und die hat er abwickeln müssen. So erinner‘ ich mich zum Beispiel, dass es mehrere Mietshäuser gegeben hat und dann so ein großes Bürohaus, den Industriepalast, die also ihm plus Familie gehört haben, und um die er sich hat kümmern müssen, aber er hat halt versucht, daneben auch noch Zeit zu finden für die Dinge, die er geschätzt hat.
Wissenschaft so nebenher zu betreiben ist ja ziemlich unmöglich, und so hat er aber versucht, sein Leben auszufüllen mit Interesse für künstlerische Sachen, für kulturelle Dinge, und auch so, als Mäzen tätig zu sein. Und in der Zeit, an die ich mich schon erinnern kann, also Ende der Zwanzigerjahre, war das „diesen Künstlern unter die Arme greifen“ auch wahnsinnig notwendig, weil es war eine wirtschaftlich eher sehr schlechte Zeit, war die große Wirtschaftskrise in Österreich, eine große Arbeitslosigkeit. Und da hat es zum Beispiel mehrere Maler gegeben, besonders der Herbert Böckl, dem er versucht hat, immer wieder zu helfen, mit Geld. Und das Helfen hat damals noch eine sehr traditionelle Form gehabt, nämlich dass man die Leute zum Essen, also zum Mittagessen oder zum Nachtmahl, einlädt. Für mich hat das eine große Bedeutung gehabt, was da sehr oft beim Essen über interessante, gescheite Sachen geredet worden ist, und ich hab diese Besuche oft sehr bewundert, mit denen Otto – so ist mir vorgekommen – auch fachlich sehr versiert geredet hat.
Location

Austria

Interview
Eva Köckeis-Stangl