Tag #115941 - Interview #78542 (Edith Landesmann)

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Im Jugendbund Gordonia wurden wir weiter zionistisch-sozialistisch indoktriniert, und so kam es selbstverständlich, als der Krieg immer näher an unsere Grenzen kam, es war die Schlacht um El-Alamein, dass unsere Jungens sich freiwillig zum englischen Militär meldeten. Später gründeten sie auch eine eigene Jüdische Brigade . Diese wurde von den Engländern "Two Shilling Trouble Makers" genannt, weil sie darauf bestanden, auf ihrem Emblem, welches dem englischen Shilling ähnlich sah, auch die Buchstaben Alef- Jud, die Initialen Eretz Israels, zu haben. Auch wir Mädchen wollten etwas zum Kriegseinsatz beitragen. Da wir aber zu jung waren, um zum Militär zu gehen, wollten wir wenigstens im Lande etwas Nützliches machen. So entschlossen wir uns, einen neuen Kibbuz zu gründen.

Meine Gruppe in der Gordonia ging im Sommer 1942 auf Sommerlager in die Kwutzah Ramat-David und wollte auch gleich dort zur Hachschara bleiben. Nach langen Debatten mit meinen Eltern durfte ich auf drei Wochen mitfahren. Von dort schrieb ich dann, dass ich mich entschlossen habe, mit zur Hachschara zu gehen, da ich auch weiter in einer Kwutzah leben wollte. Es war nicht nur das Bedürfnis, etwas für den Kriegseinsatz zu tun. Ich glaubte an das Ideal, das im Kibbuzleben verwirklicht wurde. Alle sollten nach ihren Kräften zum allgemeinen Wohl beitragen und alles für ihre Bedürfnisse Notwendige bekommen. Das Leben in der Kwutzah war mehr als "spartanisch", doch ich wollte aus Idealismus gerne alles auf mich nehmen! Als meine Eltern meinen Brief erhielten, kam meine Mutter per Taxi (das war damals ein unglaublicher Luxus), um mich und meine Freundin Ruth Ehrlich abzuholen! Meine Mutter fing an, meine spärlichen Sachen einzupacken, denn sie sagte, wenn ich da bliebe, wäre ich für sie gestorben, und ein Kind begrabe man nackt. Heute verstehe  ich meine Eltern und welches Leid ich ihnen angetan habe, doch damals war ich von meinem Ideal überzeugt! Im Nebenraum waren alle unsere Freunde versammelt und rieten uns, stark zu bleiben und nicht nachzugeben! Als meine Mutter sah, dass es nichts nütze, meine Sachen mitzu- nehmen, sagte sie, ich solle wenigstens auf 14 Tage nach Hause kommen, damit sie auf Urlaub gehen könne. Sie war, seit wir in Palästina waren, noch nie auf Urlaub, und so konnte ich ihr diese Bitte nicht abschlagen! Natürlich ging meine Mutter nicht auf Urlaub. Der Sommer ging zu Ende, und mein Vater drängte darauf, ich solle etwas tun. Entweder Lernen oder Arbeiten. Da ich mich weigerte, weil ich doch wieder in die Kwutzah zurückwollte, bekam ich meine letzte Ohrfeige von meinem Vater. Ich wurde nicht mehr seit meiner Kindheit geschlagen, und dann nur, weil ich nicht essen wollte und damit meine Mutter zum Wahnsinn gebracht habe! Ich ging also zu einer Schneiderin und bekam eine Arbeit. Als zwei Wochen vergingen, heckten meine Freundin und ich einen neuen Plan aus, wie wir doch zu unseren Kameraden kommen könnten.

Ich ging also wie immer morgens zu Arbeit, hatte aber mit meiner Freundin verabredet, sie zu Mittag, am Autobusbahnhof zu treffen. Als ich dort ankam, waren Ruth und noch einige unserer Kameraden dort und waren außer sich, denn am Bahnsteig standen meine Eltern! Sie hatten Ruth angerufen und gefragt, wann und wo wir uns treffen wollten, sie würden mir etwas nachbringen. Ruth sagte ihnen eine Stunde später, als wir verabredet waren, doch die Eltern ließen sich nicht täuschen und waren schon da, als ich ankam. Man versteckte mich hinter einem Stapel Orangenkisten. Meine Freunde und ich berieten, wie es weitergehen sollte.

Ruth und ich beschlossen mit einem arabischen Bus, erstmal in den Kibbuz unseres "Madrichs" [Führers] zu fahren. Dort wurden wir sehr schön aufgenommen, und als Mädchen mit Pioniergeist, die bereit waren für ihre Ideale zu kämpfen, gefeiert! Nach einigen Tagen fuhren wir dann in "unseren" Kibbuz, Ramat-David. Es war Herbst, und wir wohnten in Hütten aus Stroh, unsere Betten waren Strohballen, darauf strohgefüllte Säcke, außerdem hatten wir noch eine Orangenkiste für unsere spärlichen Privatsachen. Wir arbeiteten jeden Tag woanders. Mal im Apfelhain (da konnten wir sogar Äpfel essen!), mal in der Küche Geschirr waschen für 160 Personen! Aber das war nicht so arg, denn es gab nur einen Teller pro Person. Erst die Fleischspeise, Beilagen waren am Tisch,  meist ein Getreide, das Burgul hieß, Tomaten, Gurken u.s.w. Dann konnte man sich aus einer großen Schüssel Suppe nehmen - Kartoffel gab es damals in Palästina kaum. Wir hungerten also nicht, aber manchmal hätten wir gerne etwas Abwechslung gehabt! Wir waren 16 Jugendliche, die beschlossen hatten, unser Leben gemeinsam nach unseren Idealen zu leben. Abends saßen wir oft stundenlang zusammen, diskutierten, sangen romantische Lieder, oder hörten Vorträge im Speisesaal des Kibbuz.

Draußen in Europa wütete der Krieg. Millionen Menschen wurden umgebracht, aber davon ahnten wir noch nichts. Nach einigen Wochen kam Ruths Vater, um uns abzuholen. Ruth kehrte mit ihm nach Tel-Aviv zurück, aber ich blieb. Ich besaß nur die eine Hose und ein Hemd, in dem ich von zu Hause weggegangen war, aber jede Woche bekam jeder von uns frische Wäsche. Eine Garnitur für die Arbeit und eine für Schabbat und den Abend.

Eines Tages kam ein großer Wind und zerstörte unsere Sukkah. So wurden wir einfach in den aufgelassenen Hühnerstall übersiedelt. Der hatte ein schräges Dach, und an der anderen Seite sollte er Glasfenster haben. Leider waren alle Fenster zerbrochen. Es war Winter, nass und feucht. Wenn es regnete, tropfte es genau auf mein Bett. Ich hatte eine eitrige Angina nach der anderen. Immer, wenn mich mein Bruder  besuchen kam, (er war inzwischen Gafir [Hilfspolizist] und im nahe gelegenen Akko stationiert), war ich krank. Natürlich berichtete er es gleich zu Hause, und die armen Eltern waren noch unglücklicher. Aber ich hatte noch immer Spaß an meinem Pionierleben und das Bewusstsein, etwas Nützliches zu tun, gab mir Befriedigung. Wir waren nur 15 Jugendliche, und das war zu wenig, um einen Garin - einen Grundstock für eine neue Kwutzah - zu bilden. So gingen wir auf die Suche nach einer zu uns passenden Gruppe. Ein Junge und ich gingen auf "Brautschau"!
Wir fanden  eine Gruppe aus Deutschland. Außer mir, waren in meiner Gruppe lauter Sabres, aber es ging gut. Sie kamen, 14 an der Zahl, zu uns nach Ramat-David, und wir hofften, eine neue Siedlung am Golf von Akkaba zu starten. Das war aber nur eine Utopie. Ich wollte nicht nur "Frauenarbeit" machen im Kleidermagazin und bei den Kindern und ging in den Schafstall, wo gerade die jungen Lämmer zur Welt kamen. Ich lernte melken und Schafskäse machen, der dann an die Genossenschaft abgeliefert wurde. Es war eine verantwortliche Arbeit mit nur einem Fehler; ich musste um 4 Uhr Früh aufstehen! Das Gute war, ich konnte mir meine Arbeitszeit einteilen. So hatte ich Zeit zum Lesen, Spazieren u.s.w, außerdem waren wir in der Hagana engagiert, das war die illegale jüdische Armee, und nachdem ich zwei Kurse absolviert hatte,  wurde ich Befehlshaber einer Gruppe von zehn Mädchen. Wir übten mit alten italienischen Gewehren, Handgranaten und Pistolen. Juden war es unter Todesstrafe verboten, Waffen zu besitzen. Einmal erwischte mich fast ein Engländer, als ich mit dem Gewehr von den Übungen kam. Ich stellte die Waffe weg, lächelte ihn an, und nichts geschah! Nur mein Herz blieb für einen Augenblick stehen!

Am 5. Jänner 1942 war mein 16. Geburtstag. Ich war ganz allein auf dem Feld und sollte Rüben ausreißen, der ganze Emek Jezreel lag vor mir. Ich sang aus voller Lunge gegen den Wind, als ein Chaver angeritten kam und sagte, ich hätte Besuch. Ich war sehr verwundert, denn bis dahin kam mich außer meinem Bruder niemand besuchen. Ich stieg also auf das Maultier, kam zum Speisesaal und guckte hinein. Dort saß meine Mutter im Persianer Mantel mit Hut und Schleier!!

Ich war sehr gerührt. Ich machte mich so gut es ging zurecht, mit meinen geflickten Arbeitskleidern und zerzausten Haaren ging ich fröhlich hinein. Zu meiner Verwunderung hatte meine Mutter Tränen in den Augen! Ich wollte ihr unbedingt zeigen, wie gut es mir geht, reichte ihr ein Messer ganz für sie alleine und erbat mir zwei extra Teller und sogar als Nachtisch die Vegetarier Speise. Aber meine Mutter war nicht beeindruckt. Am Nachmittag fuhren wir in die nächste Stadt, Afulah. Das war auch ein Flop, da die Stadt nur aus einer Straße bestand. Also besprachen wir, uns am nächsten Tag in Haifa zu treffen. Ich machte Nachtdienst, damit ich den ganzen Tag mit meiner Mutter zusammen bleiben konnte und fuhr mit dem Milchwagen nach Haifa. Ich kam mir den ganzen Tag vor, wie Alice im Wunderland! Auf die Idee, nach Hause zurückzugehen, wäre ich nicht gekommen. Ich war trotz allem sehr glücklich, und auch heute bin ich froh, dieses Jahr im Kibbuz erlebt zu haben!
Es kam der wunderschöne Frühling. Das ganze Tal war ein großer Blumengarten. Wir machten viele Ausflüge, und so lernte ich einen großen Teil des Landes kennen und lieben. Doch in unserer Gruppe kriselte es. Langsam verließ einer nach dem anderen aus verschiedenen Gründen die Kwutzah.
Period
Year
1942
Location

Israel

Interview
Edith Landesmann