Tag #116491 - Interview #78548 (Emilia Ratz)

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Nach dem Sechstagekrieg [23] 1967 in Israel, begann sich in Polen eine antisemitische Atmosphäre breit zu machen. Es wurde noch nichts offen ausgesprochen, aber es war zu spüren. Einige Wenige trauten sich sogar auf Versammlungen herumzuschreien, aber offen sagen, dass die Juden aus Polen verschwinden sollen, traute sich niemand.

Mein Chef rief mich eines Tages zu sich, er hatte mich immer sehr geschätzt und sagte zu mir, ich könne nicht mehr auf meiner Stelle arbeiten, weil mein Mann eine Schwester in Israel habe, und sie deswegen kein Vertrauen mir gegenüber mehr haben könnten. Ich bekäme aber eine gleichwertige Stelle angeboten. Ich bekam keine Stelle und ging dann zum oberen Chef, weil ich glaubte, der sei ein intelligenter Mann und politisch am rechten Ort. Aber er war ein wahnsinniger Angsthase. Ich bekam dann einen Posten in einer Bank als technischer Berater. Es gab - ich kann das aber nicht belegen, weil ich auch dort zwar viel weniger verdiente als in meiner vorherigen Arbeitsstelle, aber für dortige Verhältnisse immer noch gut - wahrscheinlich eine Instruktion, dass die aus ihren Ämtern geworfenen Juden natürlich auch finanziell spüren sollten, dass sie in Polen nicht erwünscht waren. Mein Mann hatte seine Arbeitsstelle behalten, aber schon 1956, während der ersten antisemitischen Welle in Polen, wollte mein Mann Polen verlassen. Viele Leute gingen damals, aber dann wurde es etwas lockerer. Nun mussten wir im Alter von 50 Jahren einsehen, dass wir uns geirrt hatten.
Year
1967
Location

Warsaw
Poland

Interview
Emilia Ratz