Tag #118602 - Interview #78311 (Richard Kohn)

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In Karaganda musste ich vielen Leuten erzählen, was ich erlebt hatte. Direktoren von verschiedenen Werken, sogar ein Direktor von einer Bank wollten von mir wissen, wie es in Österreich war. Sie interessierten sich alle dafür, wie man im Ausland lebt. Ich habe ohne große Ausdrücke der Bewunderung erzählt, aber eines sagte ich: 'Das Telefon ist bei ihnen besser als bei uns.' Kurze Zeit nach meiner Rückkehr aus Österreich wurde ich vom Ministerium des Inneren eingeladen. Zwei vom KGB [15] wollten in meine 'Seele' sehen, so ungefähr drückten sie sich aus. Sie wollten über verschiedene Leute etwas erfahren, aber sie wussten sowieso alles. Mich hatte nämlich ein Nachbar ziemlich ausgefragt und denen alles erzählt. Dann haben sie mich um meine Hilfe gebeten. Ich sollte andere Menschen bespitzeln, über Unzufriedenheiten berichten. Und ich sollte von allen Briefen, die mir aus Österreich geschickt wurden, Übersetzungen ins Russische machen und ihnen geben. Also übersetzte ich alle Briefe.

Nach dem zehnten Brief sagten sie, ich soll sämtliche Originale bringen. Dann verglichen sie, ob ich die Briefe richtig übersetzt hatte. Unsere Nachbarn bekamen einen Abhörapparat. Wenn ich den Hörer meines Telefons abnahm, begann bei denen ein Tonband alles aufzunehmen. Es gibt ein russisches Sprichwort: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.

Die politische Situation in der Sowjetunion veränderte sich. Gorbatschow wurde im Oktober 1988 Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet und wir durften wieder nach Österreich.
Period
Interview
Richard Kohn