Tag #118752 - Interview #78295 (Stella Semenowsky)

Selected text
Meine Mutter war sehr fromm. Wir hatten einen koscheren Haushalt [9]. Am Schabbat wurden Kerzen angezündet, und jeder Feiertag wurde festlich begangen. Wir hatten auch für uns reservierte Sitze im Leopoldstädter Tempel. Den Tempel gibt es nicht mehr, der wurde 1938 zerstört. Mein Vater war weniger fromm. Ihm hat es nichts ausgemacht, am Schabbes mit der Straßenbahn zu fahren, was meine Mutter nie gemacht hätte. Aber auf die Kerzen am Freitagabend hat er großen Wert gelegt. Als die Eltern meines Vaters wenige Jahre nacheinander gestorben sind, ist er Schiwe [10] gesessen und ein ganzes Jahr lang jeden Tag in den Tempel zum Beten gegangen. Aber ich denke, bei ihm war es mehr Tradition als Frömmigkeit.
Interview
Stella Semenowsky